SdG 04 - Die eisige Zeit
Gerechtigkeit in der Welt gibt.«
Paran starrte in die Dunkelheit. »Und – gibt es das?«
»Das fragst du ausgerechnet einen Jaghut? Nun, wollen wir hier für immer und ewig stehen bleiben?«
»Schon gut, schon gut.« Der Hauptmann seufzte. »Such dir eine Richtung aus.«
Raest zuckte die Schultern. »Für mich sind sie alle gleich.«
Paran musste unwillkürlich grinsen und marschierte los. Doch dann blieb er noch einmal stehen und drehte sich halb um. »Raest, du hast gesagt, der Azath braucht einen Herrn der Drachenkarten. Warum? Was ist geschehen?«
Der Jaghut bleckte erneut die Hauer. »Ein Krieg hat angefangen.«
Paran kämpfte gegen ein plötzliches Erschauern an. »Ein Krieg? Sind die Azath-Häuser in diesen Krieg verwickelt?«
»Kein Wesen wird verschont bleiben, Sterblicher. Weder die Häuser, noch die Götter. Du nicht, Mensch, und auch kein einziger deiner kurzlebigen, unbedeutenden Artgenossen.«
Paran verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich habe mich auch so schon um genug Kriege zu kümmern, Raest.«
»Alle diese Kriege sind nur ein einziger Krieg.«
»Ich will über das alles gar nicht erst nachdenken.«
»Dann lass es.«
Nach einem kurzen Augenblick wurde Paran klar, dass es sinnlos war, den Jaghut finster anzustarren. Er drehte sich um und machte sich wieder auf den Weg. Beim dritten Schritt spürte er Steinfliesen statt Wurzelgeflecht unter seinen Sohlen; die Dunkelheit um ihn herum löste sich langsam auf, und an ihre Stelle trat ein großer freier, in einem matten gelben Licht daliegender Platz. Seine Ränder, die in alle Richtungen hundert Schritte oder gar mehr entfernt waren, schienen im Zwielicht zu verschwinden. Von Raest oder der hölzernen Wendeltreppe war nichts mehr zu sehen. Parans Aufmerksamkeit wurde von den Fliesen unter seinen Füßen angezogen.
In ihre ausgeblichene Oberfläche waren einzelne Drachenkarten eingraviert. Nein, es sind nicht nur die Drachenkarten – hier sind Karten dabei, die ich nicht kenne. Verschollene Häuser und unzählige vergessene Neutrale Karten. Häuser und … Der Hauptmann trat einen Schritt vor, hockte sich hin, um ein Bild genauer zu mustern. Als er sich darauf konzentrierte, verblasste die Welt um ihn herum, und er spürte, wie er in die eingravierte Szene hineinglitt.
Ein kalter Wind strich ihm übers Gesicht, die Luft roch nach Schlamm und feuchten Pelzen. Er konnte die Erde kalt und nachgiebig unter seinen Stiefelsohlen spüren. Irgendwo in der Ferne krächzten ein paar Krähen. Die merkwürdige Hütte, die er auf der Steinfliese gesehen hatte, stand jetzt vor ihm; sie war lang und bucklig, und in den Lücken der umbrafarbenen Pelze, die sie bedeckten, waren die großen Knochen und die langen Stoßzähne zu erkennen, die ihren Rahmen bildeten. Häuser … und Festen, die ersten Bauwerke. Einst wohnten die Menschen in solchen Gebilden, als lebten sie im Brustkorb eines Drachen. Bei den Göttern, diese Stoßzähne sind ja riesig – von welchem Tier diese Knochen auch immer stammen, es muss gigantisch gewesen sein …
Es scheint, als könnte ich einfach mittels meines Wissens reisen. In jede einzelne Karte – in jedes einzelne Kartenspiel, das jemals existiert hat. In die Woge von Staunen und Erregung, die er verspürte, mischte sich ein Gefühl des Schreckens. Die Karten beinhalteten einen ganzen Haufen unangenehmer Orte.
Und was ist mit diesem hier?
In einer kleinen, von Steinen eingefassten Feuerstelle vor dem Eingang der Hütte schwelte ein Rest Glut. Die davon aufsteigenden Rauchschwaden wanden sich um ein aus Ästen gebautes Gestell, an dem Fleischstreifen hingen. Wie Paran jetzt sehen konnte, war die Lichtung von verwitterten Schädeln umgeben, die zweifellos von den Tieren stammten, deren Knochen das Gerüst der Hütte bildeten. Die Schädel blickten auf die Lichtung, und Paran konnte an den langen, gelblichen Backenzähnen, die sich noch in den Kiefern befanden, erkennen, dass die Tiere Pflanzenfresser gewesen waren.
Er näherte sich dem Eingang der Hütte. Raubtierschädel hingen vom elfenbeinernen Türrahmen, so dass er sich ducken musste, als er ins Innere trat.
So wie es aussieht, sind die Bewohner rasch aufgebrochen – und das scheint erst ein paar Augenblicke her zu sein … Am hinteren Ende der Hütte standen zwei Throne, flach und stabil und ganz aus Knochen gemacht, auf einem leicht erhöhten Podest aus mit ockerfarbenen Flecken übersäten menschlichen Schädeln – na ja, zumindest Schädeln, die sehr
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