SdG 04 - Die eisige Zeit
aufmerksam.
Blinzelnd setzte Grantl sich wieder etwas aufrechter hin. Er beugte sich kurz zu Harllo. »Was war das gerade eben – ist es da nicht um irgendwelche Morde gegangen?«
»Unerklärliche Morde, vier Nächte lang, oder so. Ein hiesiges Problem, das allerdings schon wieder erledigt ist, soweit ich es mitbekommen habe.«
Der Karawanenführer grunzte und setzte sich dann wieder richtig hin, versuchte dabei den kalten Schweiß zu ignorieren, der plötzlich unter seinem Hemd prickelte. Sie sind gut vorangekommen, sind uns ein ganzes Stück voraus – dieser komische Wagen bewegt sich mit übernatürlicher Geschwindigkeit. Aber er hätte es nie durch Saltoans Straßen geschafft. Er ist zu breit, zu hoch. Sie müssen in Wegstadt gelagert haben. Das ist nur ein paar Dutzend Schritte vom Sonnenaufgangstor entfernt … Ist das der Beweis, dass du mit deinen Vermutungen Recht hast, Freund Buke?
»Ich wäre vor Langeweile fast gestorben, was denkst du denn?« Stonny schenkte sich noch einen Becher Wein ein. »Nektara hat es geschafft, mir diese Langeweile ein bisschen zu vertreiben, und wenn ich an all die schwitzenden, haarigen Gesichter denke, dann habe nicht nur ich etwas davon gehabt. Ihr seid alle Schweine.«
»Wir haben nicht in aller Öffentlichkeit rumgemacht«, wandte Grantl ein.
»Na und? Ihr hättet ja schließlich nicht alle zuschauen müssen, oder? Was wäre denn gewesen, wenn ich ein Kind auf dem Schoß gehabt und meine Titten entblößt hätte?«
»Wenn das so gewesen wäre«, sagte Harllo, »hätte ich dich ganz bestimmt angeglotzt.«
»Du bist widerlich.«
»Du verstehst mich falsch, meine Teuerste. Nicht deine Titten – obwohl das natürlich ein toller Anblick wäre –, sondern du mit einem kleinen Kind! Ha, einem Kind!«
Stonny feixte ihn an.
Sie saßen in einem Hinterzimmer der Schänke, auf dem Tisch vor ihnen die Überreste eines Mahles.
»Wie auch immer«, sagte Grantl seufzend, »dieses Treffen wird noch die ganze Nacht dauern, und wenn es hell wird, wird unser Herr der Einzige sein, der das Privileg haben wird, den verlorenen Schlaf nachzuholen – in seinem bequemen Wagen. Wir haben oben Zimmer mit beinahe sauberen Betten zugewiesen bekommen, und ich schlage vor, dass wir sie benutzen.«
»Das heißt, um tatsächlich darin zu schlafen, liebste Stonny«, erklärte Harllo.
»Du kannst sicher sein, dass ich die Tür verriegeln werde, du Zwergochse.«
»Nektara kennt wahrscheinlich ein geheimes Klopfzeichen.«
»Wisch dir das Grinsen aus dem Gesicht, Harllo, sonst muss ich es für dich tun.«
»Wie kommt es eigentlich, dass immer du diejenige bist, die ihren Spaß hat?«
Sie grinste. »Ich komme halt im Gegensatz zu dir aus dem richtigen Stall, du Promenadenmischung.«
»Ach so. Und dazu kommt dann wohl noch die passende Erziehung, was?«
»Genau.«
Einen Augenblick später schwang die Tür auf, und Keruli betrat den Raum.
Grantl lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und musterte den Priester. »Und, habt Ihr Erfolg damit gehabt, die Schläger, Mörder und Wucherer dieser Stadt für Eure Sache zu gewinnen?«
»Mehr oder weniger«, erwiderte Keruli und trat an den Tisch, um sich einen Becher Wein einzuschenken. Er seufzte. »Leider müssen Kriege auf mehr als einem Schlachtfeld ausgefochten werden. Der Feldzug wird lange dauern, fürchte ich.«
»Sind wir deswegen nach Capustan unterwegs?«
Der Priester blickte Grantl kurz an, dann wandte er den Blick wieder ab. »Es gibt andere Aufgaben, die dort auf mich warten, Karawanenführer. Unser kurzer Abstecher nach Saltoan ist im großen Plan eigentlich ziemlich nebensächlich.«
Und was ist das für ein großer Plan, Priester?, wollte Grantl eigentlich fragen, doch er tat es nicht. Sein Herr fing allmählich an, ihn nervös zu machen, und er hatte den Verdacht, dass jede Antwort auf diese Frage die Sache nur noch verschlimmern würde. Nein, Meister Keruli, behaltet Eure Geheimnisse ruhig für Euch.
Der Bogengang unter dem Sonnenaufgangstor war so dunkel wie eine Gruft, die Luft kühl und feucht. Durch einen feinen Rauchschleier, dem die Morgensonne einen goldenen Schimmer verlieh, waren gleich dahinter die weit verstreuten Gebäude von Wegstadt zu sehen.
Grantl kniff die geröteten Augen zusammen, als er ins Sonnenlicht hinauskam und ließ sein Pferd in einen leichten Trab fallen; dann begann er, sich erneut an ein paar Flohbissen zu kratzen. Er war in Saltoan zurückgeblieben und hatte zwei Glockenschläge lang beim Tor
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