SdG 04 - Die eisige Zeit
nicht schon früher gesagt?«
»Ich war mir nicht sicher, ob die Verhandlungen wirklich erfolgreich verlaufen sind. Die Angelegenheit ist kompliziert, denn es sind die Herren und Herrinnen, die um … Beistand ersucht haben. Ich hingegen muss mich darum bemühen, mir ihr Vertrauen im Hinblick darauf zu erwerben, dass ich am geeignetsten bin, besagten Beistand zu gewähren.«
Ihr? Wer seid Ihr denn dann, im Namen des Vermummten? »Ich verstehe. In Ordnung, also, dann traut meinetwegen diesen Kriminellen, wenn Ihr das wollt, aber ich fürchte, wir teilen Eure Überzeugung nicht.«
»Ich habe verstanden, Karawanenführer.«
Grantl ging zu seinem Pferd zurück. Er packte die Zügel und blickte Nektara an. »Geh voran.«
Saltoan war eine Stadt mit zwei Herzen, deren Kammern Blut von unterschiedlicher Färbung enthielten, doch beide Arten waren gleichermaßen elend und korrupt. Mit dem Rücken an die Wand einer niedrigen überfüllten Schänke gelehnt, betrachtete Grantl mit leicht zusammengekniffenen Augen eine bunte Mischung aus Mördern, Wucherern und Schlägern, deren Macht davon abhing, wie viel Furcht sie verbreiteten.
Stonny lehnte zur Linken des Karawanenführers an der Wand, Harllo saß zu seiner Rechten auf derselben Bank wie Grantl selbst. Nektara hatte ihren Stuhl und einen kleinen runden Tisch nahe zu Stonny hingerückt. Dicke, widerliche Rauchwolken stiegen von der Wasserpfeife auf, die vor der Bezirksherrin auf dem Tisch stand, und umwaberten ihre Gesichtszüge, die mehr als einmal mit einem Messer Bekanntschaft gemacht hatten. In ihrer Linken hielt sie das Mundstück der Wasserpfeife, während ihre Rechte auf Stonnys lederumhülltem Oberschenkel ruhte.
Keruli stand mitten im Raum, Auge in Auge mit der Mehrzahl der Bandenführer beiderlei Geschlechts. Der kleine Mann hatte die Hände oberhalb des schlichten grauen Seidengürtels vor dem Bauch gefaltet, und sein Umhang aus schwarzer Seide schimmerte wie geschmolzener Obsidian. Eine merkwürdige, eng anliegende Kappe bedeckte seinen kahlen Schädel. Sie ähnelte den Kopfbedeckungen, die auch von einigen der ältesten Skulpturen Darujhistans und Figuren auf ähnlich alten Wandteppichen getragen wurden.
Keruli hatte seine Ansprache mit sanfter, aber dennoch deutlich hörbarer Stimme begonnen. »Ich bin sehr erfreut, an diesem verheißungsvollen Treffen teilzunehmen. Jede Stadt hat ihren Schleier, hinter dem ihre Geheimnisse verborgen liegen, und ich fühle mich geehrt, dass dieser ganz besondere Schleier hier sich für mich geteilt hat. Natürlich ist mir klar, dass viele von Euch glauben könnten, ich wäre aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Euer erklärter Feind, aber ich versichere Euch, dass dies nicht der Fall ist. Ihr habt Eure Besorgnis hinsichtlich des Einflusses von Priestern der Domäne in Saltoan zum Ausdruck gebracht. Sie sprechen von Städten, die seit kurzem unter den göttlichen Schutz des Kultes des Pannionischen Sehers gekommen sind, und erzählen den einfachen Bürgern Geschichten von Gesetzen, die allen Bürgern gleichermaßen – ohne jeden Vorbehalt – auferlegt werden, von Rechten und festgeschriebenen Privilegien, von der willkommenen Einführung einer Ordnung, ungeachtet örtlicher Traditionen und Umgangsformen. Sie säen die Saat der Zwietracht unter Euren Untertanen – und das ist in der Tat ein gefährlicher, beispielloser Vorgang.«
Unter den Herren und Herrinnen erhob sich zustimmendes Gemurmel. Grantl hätte angesichts der gekünstelten Etikette unter diesen auf der Straße aufgewachsenen Mördern fast gelächelt. Als er einen Blick zur Seite warf, sah er – während seine Brauen die Stirn hinaufklommen –, dass Nektaras Hand im Schritt von Stonnys Beinlingen unter die Lederfalten getaucht war. Stonnys Gesicht war gerötet, um ihre Lippen spielte ein schwaches Lächeln, und sie hatte die Augen fast geschlossen. Bei der Königin der Träume, kein Wunder, dass neun Zehntel der Männer in diesem Raum schwer schnaufen, ganz zu schweigen davon, dass sie sich immer wieder einen kräftigen Schluck aus ihren Weinbechern genehmigen. Auch er selbst streckte die Hand nach seinem Becher aus.
»Man sollte sie alle umbringen«, grollte eine der Herrinnen. »Man sollte diesen verdammten Priestern allen miteinander die Bäuche aufschlitzen, das ist die einzige Möglichkeit, mit so etwas umzugehen, sage ich.«
»Und damit wären sie Märtyrer für ihren Glauben«, erwiderte Keruli. »So ein direkter Angriff ist zum Scheitern
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