Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 04 - Die eisige Zeit

SdG 04 - Die eisige Zeit

Titel: SdG 04 - Die eisige Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
den Zinnen hindurch und über die Plattformen hinweg, und senkte sich schließlich hinab in Capustans gewundene Straßen, in denen keine Menschenseele zu sehen war. Auf der Brustwehr des Eckturms, der über den alten Truppenunterkünften aufragte, stand Karnadas und blickte dem Sturm entgegen; er war allein, und sein mit einer Ebermähne besetzter Umhang wurde von den wilden Böen hin und her gepeitscht. Obwohl die Brustwehr nach Südosten gewandt war, konnte er von seiner Position aus das Objekt ausmachen, dem seine besondere Aufmerksamkeit galt und das fünfhundert Schritte weiter nördlich direkt an der Mauer lag.
    Der dräuende, an eine Felsklippe erinnernde Palast von Fürst Jelarkan war anders als alle anderen Gebäude in Capustan. Fensterlos ragte das Bauwerk aus grauen Steinen in einem chaotischen Durcheinander aus Ebenen, Vorsprüngen, Überhängen und anscheinend völlig sinnlosen Gesimsen in die Höhe. Es war deutlich höher als die daneben befindliche, der Küste zugewandte Mauer, und vor seinem geistigen Auge sah der Söldner große Felsblöcke vom Todesstreifen unten in hohem Bogen auf das Gebäude zufliegen, in seine Flanken krachen und es zerschmettern.
    Das ist deiner unwürdig. Wo ist jetzt das tröstliche Wissen vom gewaltigen, zyklischen Dahinstürmen der Geschichte, die wie die Gezeiten aufeinanderfolgenden Kriegs- und Friedenszeiten? Frieden ist die Zeit, in der man auf den nächsten Krieg wartet. Eine Zeit der Vorbereitungen oder der vorsätzlichen Unwissenheit, die wir mit Scheuklappen blind und schwatzend hinter sicheren Wänden verbringen.
    Im Innern des Palasts saß das Todbringende Schwert Brukhalian schon wieder bei einer Besprechung mit dem Fürsten und einem halben Dutzend Repräsentanten des Maskenrats fest. Der Kommandant der Grauen Schwerter ertrug solche verwickelten Marathon-Sitzungen mit, wie es Karnadas schien, geradezu übermenschlicher Geduld. Ich hätte diesen verrückten Tanz niemals ertragen, nicht so lange, Abend für Abend, wochenlang, ohne Ende. Dennoch ist es immer wieder bemerkenswert, was letztlich erreicht werden kann, selbst wenn die Debatte immer noch weiter tobt. Wie viele Vorschläge des Todbringenden Schwerts – und Fürst Jelarkans – sind bereits umgesetzt worden, auch wenn die Streitereien endlos weitergehen und diese maskierten Bastarde in ihrer vollständigen Beschränktheit immer noch ihre Litanei von Einwänden vorbringen.
    Es ist zu spät, ihr Narren – wir haben bereits getan, was wir konnten … um eure verdammte Stadt zu retten.
    Vor seinem geistigen Auge erschien die mit Fell überzogene, bemalte und mit Gelenken versehene Maske des einen Priesters aus dem Rat, der eigentlich der natürliche Verbündete der ganzen Kompanie hätte sein müssen. Rath’Fener sprach für den Eber des Sommers – den Gott und Schutzpatron der Grauen Schwerter. Aber du wirst von politischem Ehrgeiz verzehrt, genau wie deine Rivalen und Rivalinnen im Rat. Du kniest vor den blutigen Hauern des Sommers, doch … ist das womöglich alles nichts als eine Lüge?
    Der Wind heulte, und das war die einzige Antwort auf Karnadas’ Frage. Blitze erhellten die Wolken, die sich über der fernen Bucht auftürmten. Rath’Fener war ein Priester des Herrschenden Rangs, ein Veteran der Tempel-Politik und somit auf dem Gipfel dessen, was ein Sterblicher in Feners geheiligten Wänden erreichen konnte. Aber der Eber des Sommers ist kein zivilisierter Gott. Rang und Stellung, mit Elfenbeinspangen geschmückte Roben … weltlicher Pomp, kleinliche Spiele der Arroganz bei der Jagd nach weltlicher Macht. Nein, ich darf Rath’Fener nicht angreifen, indem ich seinen Glauben in Frage stelle – er dient unserem Gott auf seine Weise.
    Der Eber des Sommers war die Stimme des Krieges. Dunkel und grässlich, so alt wie die Menschheit. Das Lied der Schlacht – die Schreie der Sterbenden und der Rachsüchtigen, die misstönende, abgehackte Musik eiserner Waffen, von unter Schlägen dröhnenden Schilden, von zischenden Pfeilen und Armbrustbolzen … Und, vergib uns, die Stimme wird zu einem Brüllen. Jetzt ist nicht die Zeit, sich hinter Tempelmauern zu verstecken. Nicht die Zeit für närrische Politik. Wir dienen Fener, indem wir über die feuchte, dampfende Erde marschieren, die Waffen blankgezogen in quecksilbrigem Versprechen. Wir sind das Geklirr und Gerassel, das Gebell von Wut, Schmerz und Entsetzen …
    Rath’Fener war nicht der einzige Priester des Ebers in dieser Stadt, der einen

Weitere Kostenlose Bücher