SdG 04 - Die eisige Zeit
Jahrhunderten im Nebel verschwunden; er war wahrscheinlich tot, und wenn nicht, dann war er zumindest so gut wie Lot. Treach hatte ihn über eine Kante gestürzt, hatte ihn sich überschlagend und zuckend in den unergründlichen Spalt gestoßen. Seit damals war er keinem Feind mehr begegnet, der diesen Namen wirklich verdient hätte. Die Arroganz des Tigers war legendär – es war nicht schwierig gewesen, eine derartige Zuversicht auszunutzen.
Die vier K’Chain Che’Malle waren im Kreis gezogen, hatten ihn mit kalter Absicht erwartet.
Ich bin auf sie losgegangen. Habe Fleisch zerrissen, Knochen zerschmettert. Ich habe einen von ihnen niedergestreckt, die Fänge tief in seinem leblosen Genick. Einen Augenblick, einen Herzschlag später, und es wären nur noch drei gewesen.
Es war so knapp …
Treach lag im Sterben. Er hatte ein Dutzend tödlicher Wunden erlitten. Eigentlich hätte er schon längst tot sein müssen, doch er klammerte sich mit blinder, tierischer Entschlossenheit ans Leben, und diese Entschlossenheit wurde von grenzenloser Wut genährt. Die vier K’Chain Che’Malle hatten ihn voller Verachtung einfach liegen lassen; sie wussten, dass er sich nie wieder erheben würde, und so etwas wie Barmherzigkeit war ihnen fremd.
Flach im Gras hingestreckt hatte der Tiger des Sommers mit trüb werdenden Augen zugesehen, wie die Kreaturen davongetrottet waren, hatte voller Befriedigung bemerkt, wie von einem der Wesen ein Arm, der nur noch an einem Fleischfetzen gehangen hatte, schließlich abriss und zu Boden fiel – und mit absolutem Desinteresse zurückgelassen wurde.
Dann, als die untoten Jäger die Kuppe eines nahe gelegenen Hügels erreicht hatten, hatten seine Augen aufgeblitzt. Eine schlanke, lang gestreckte schwarze Gestalt war aus dem Gras aufgesprungen, mitten zwischen seine Schlächter. Macht umfloss sie wie schwarzes Wasser. Der erste K’Chain Che’Malle ging unter dem heftigen Angriff zu Grunde.
Der Kampf setzte sich auf dem Hang jenseits der Kuppe fort; Treach konnte nichts mehr sehen, doch er konnte ganz schwach hören, dass er wirklich weiterging, obwohl der Pulsschlag seines Blutes, seines verrinnenden Lebens betäubend wie Donner in seinen Ohren dröhnte. Er fing an, sich vorwärts zu ziehen, Zoll um Zoll.
Innerhalb weniger Augenblicke erstarben alle Geräusche auf der anderen Seite des Hügels, doch Treach mühte sich weiter; er hinterließ eine dicke Blutspur, seine Bernsteinaugen waren auf die Kuppe gerichtet, sein Lebenswille auf etwas Animalisches reduziert, etwas, das sich einfach weigerte, zu begreifen, dass er am Ende seines Lebens angelangt war.
Ich habe so etwas gesehen. Bei Antilopen. Bei Bhederin. Halsstarriges Leugnen, sinnloses Kämpfen, Fluchtversuche, obwohl ein Blutschwall aus ihrer Kehle quillt und meinen Rachen füllt. Beine, die in dem Glauben zu rennen, zu fliehen, um sich treten, obwohl ich schon zu fressen beginne. Ich habe so etwas gesehen, und jetzt verstehe ich es.
Der Tiger wird von Erinnerungen an seine Beute gedemütigt.
Er vergaß den Grund für seine Bemühungen, die Kuppe zu erreichen, wusste nur noch, dass er es schaffen musste, ein letzter Aufstieg, um zu sehen, was dahinter lag.
Was dahinter liegt. Ja. Eine Sonne, die tief über dem Horizont steht. Die endlose Weite einer von nichts unterbrochenen, ungezähmten Grassteppe. Ein letztes Bild von Wildheit, bevor ich mich durch das verfluchte Tor des Vermummten davonstehle.
Sie erschien vor ihm, schlank, muskulös und glatthäutig. Eine Frau, klein, aber nicht zerbrechlich, das Fell eines Panthers um ihre Schultern; ihr langes schwarzes Haar war ungekämmt, schimmerte jedoch im Licht des dahinschwindenden Tages. Mandelförmige Augen, bernsteinfarben wie seine eigenen. Ein herzförmiges Gesicht mit grob geschnittenen Zügen.
Derbe Königin, warum bricht mir dein Anblick das Herz?
Sie trat an ihn heran, setzte sich, hob seinen gewaltigen Kopf und bettete ihn in ihren Schoß. Kleine Hände wischten das Blut und den getrockneten Schaum um seine Augen herum weg. »Sie sind vernichtet«, sagte sie in der alten Sprache, der Sprache des Ersten Imperiums. »Es war nicht besonders schwierig – du hast nicht viel von ihnen übrig gelassen, Schweigender Jäger. Tatsächlich sind sie schon bei meiner sanftesten Berührung im wahrsten Sinne des Wortes auseinander gefallen.«
Lügnerin.
Sie lächelte. »Ich habe deinen Pfad schon früher gekreuzt, Treach, wollte mich dir allerdings nicht nähern – ich habe
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