SdG 04 - Die eisige Zeit
Schauer. Beim Atem des Vermummten, wohin sind wir unterwegs? Er schaute zu Senu und Thurule hinüber. Die Seguleh schienen ihn zu beobachten.
»Ich vermute, Ihr seid hungrig. Ich kann Eure mühsam gezügelte Ungeduld sehr wohl erkennen. Wenn Ihr wollt, könnte ich – «
Wut.
Kalt und tödlich.
Unmenschlich.
Plötzlich war Toc woanders, sah mit den Augen eines Tieres – jedoch nicht mit denen der Ay, dieses Mal nicht. Und es waren auch keine Bilder aus längst vergangenen Zeiten, sondern aus der Gegenwart; hinter den Bildern befand sich allerdings ein wahrer Wasserfall von Erinnerungen. Einen Augenblick später war jegliches Gefühl seiner selbst verschluckt, war seine Identität hinweggewischt unter dem Ansturm der Gedanken einer anderen Kreatur.
Es ist schon so lange her, dass das Leben eine Form gefunden hat … durch Gedanken, durch Bewusstsein.
Und jetzt … ist es … zu spät.
Muskeln zuckten, Blut troff unter seinem aufgerissenen, zerfetzten Fell hervor. So viel Blut, dass der Boden unter ihm schon damit getränkt war; Blut, das das Gras in einer Kriechspur den Hügel hinauf verschmierte.
Kriechen, eine Reise der Rückkehr. Um sich jetzt, am Ende, selbst zu finden. Und längst vergessen geglaubte, von neuem erwachte Erinnerungen …
Die letzten Tage – die inzwischen so lange zurücklagen – waren chaotisch gewesen. Das Ritual war ausgefasert – unerwartet, unvorhersehbar. Wahnsinn hatte die Wechselgänger befallen. Wahnsinn hatte die Mächtigeren seiner Artgenossen zersplittert, hatte einen in viele zerbrochen; die wilde, blutdurstige Macht, die sich in einem Ausbruch entlud, gebar die Vielwandler. Das Reich zerriss sich selbst.
Aber das war lange her, so furchtbar lange her …
Ich bin Treach – aber das ist nur einer meiner vielen Namen. Trake, der Tiger des Sommers, die Krallen des Krieges. Der Schweigende Jäger. Ich war damals dabei, als alles zu Ende ging; ich war einer der wenigen Überlebenden, nachdem die T’lan Imass mit uns fertig waren. Es war ein brutales, barmherziges Gemetzel. Sie hatten keine andere Wahl – jetzt kann ich das klar erkennen, obwohl damals keiner von uns bereit war, ihnen zu vergeben. Damals nicht. Die Wunden waren noch zu frisch.
Bei den Göttern, wir haben auf jenem weit entfernten Kontinent ein Gewirr in Stücke gerissen. Haben die östlichen Lande in glutflüssiges Gestein verwandelt, das dann wieder abgekühlt und zu etwas geworden ist, das sich jeder Zauberei widersetzt. Die T’lan Imass haben Tausende geopfert, um den Krebs herauszuschneiden, zu dem wir geworden waren. Es war das Ende – das Ende aller Verheißungen, all des strahlenden Glanzes. Das Ende des Ersten Imperiums. Es war Hybris, auf einen Namen Anspruch erhoben zu haben, der rechtmäßig den T’lan Imass gehörte …
Wir sind geflohen, wir – eine Hand voll Überlebende. Ryllandaras, alter Freund – wir haben uns entzweit, sind aneinander geraten, sind dann auf einem anderen Kontinent noch einmal aneinander geraten. Er ist am weitesten gegangen, hat einen Weg gefunden, die Begabungen zu kontrollieren – war sowohl Wechselgänger als auch Vielwandler. Der Weiße Schakal. Ay’tog. Agkor. Und mein anderer Gefährte, Messremb – wo ist er hin? Eine freundliche Seele, von Wahnsinn entstellt, aber so loyal, stets loyal …
Aufsteigen. Eine grimmige Ankunft – die Ersten Helden. Dunkel, wild.
Ich erinnere mich an eine weite Graslandschaft unter einem Himmel, der sich mit der Abenddämmerung verfinsterte. Auf einer weit entfernten Hügelkette stand ein einzelner Wolf; er hatte nur noch ein Auge, das wie Mondlicht schimmerte. Diese merkwürdige, einzigartige Erinnerung kehrt jetzt zu mir zurück, scharf wie Krallen. Warum?
Ich bin Tausende von Jahren auf dieser Welt herumgetrottet, habe mich ganz meiner tierischen Natur hingegeben, und die menschlichen Erinnerungen wurden schwächer und schwächer und verschwanden ganz. Und doch … diese Vision des Wolfes, die in meinem Innern erwacht …
Ich bin Treach. Erinnerungen kehren zurück, als wäre ein Damm gebrochen, selbst wenn mein Körper kalt wird, so schrecklich kalt.
Er war den geheimnisvollen Tieren tagelang gefolgt, getrieben von unbarmherziger Neugier. Ein Geruch, den er nicht kannte, ein wirbelndes Kielwasser, das von Tod und altem Blut kündete. Furchtlos hatte er nur daran gedacht, sie zu vernichten, wie er es so lange getan hatte, ohne ein einziges Mal in Bedrängnis zu geraten. Der Weiße Schakal war schon vor
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