SdG 04 - Die eisige Zeit
herauskommt und Euch auslöscht, dann nur zu.«
Zum ersten Mal meldete sich Korbal Broach zu Wort. Seine Stimme war hoch und quäkend. »Bauchelain, kann er uns spüren?«
Sein Gefährte runzelte die Stirn, den Blick noch immer auf Mondbrut gerichtet; schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich kann keinerlei Aufmerksamkeit spüren, die uns gelten würde, mein Freund. Aber das ist ein Gespräch, das wir fortsetzen sollten, wenn wir etwas ungestörter sind.«
»Nun gut. Dann willst du also nicht, dass ich diesen Karawanenwächter töte?«
Erschrocken trat Grantl einen Schritt zurück, die Macheten halb aus den Scheiden. »Ihr würdet schon den Versuch bereuen«, knurrte er.
»Nur die Ruhe, Karawanenführer«, sagte Bauchelain lächelnd. »Mein Partner hat schlichte Ansichten – «
»So schlicht wie die einer Viper, meint Ihr wohl.«
»Vielleicht. Nichtsdestotrotz kann ich Euch versichern, dass Ihr absolut sicher seid.«
Grantl blickte den Mann finster an und wich langsam den Ziegenpfad hinunter zurück. »Meister Keruli«, flüsterte er dabei, »wenn Ihr all dies hier beobachtet – und ich glaube, dass Ihr das tut –, gehe ich davon aus, dass mein Bonus entsprechend großzügig ausfallen wird. Und wenn Euch mein Rat irgendetwas bedeutet, schlage ich vor, dass wir um diese beiden einen großen Bogen machen.«
Wenige Augenblicke bevor der Krater aus seinem Blickfeld verschwand, sah er, wie Bauchelain und Korbal Broach ihm – und Mondbrut – den Rücken zukehrten. Sie starrten kurz in das Loch hinunter und begannen dann hinabzusteigen. Schon wenig später konnte er sie nicht mehr sehen.
Seufzend drehte Grantl sich um und machte sich auf den Rückweg zum Lager; er rollte die Schultern, um die angespannten, verkrampften Muskeln zu lockern.
Als er die Straße erreichte, hob er noch einmal den Kopf und schaute nach Süden, um einen letzten Blick auf Mondbrut zu werfen; die fliegende Festung wirkte durch die große Entfernung schon ein bisschen verschwommen. »Ihr da oben, Lord – ich wünsche mir, Ihr hättet den Geruch von Bauchelain und Korbal Broach tatsächlich wahrgenommen, damit Ihr dann das mit ihnen machen könntet, was Ihr mit dem Jaghut-Tyrannen gemacht habt – vorausgesetzt, Ihr hattet dabei wirklich die Hand im Spiel. Vorbeugende medizinische Maßnahmen nennen das die Feldscher. Ich kann nur beten, dass wir alle Euer Desinteresse nicht eines Tages bedauern werden.«
Während er die Straße entlangschritt, warf er einen Blick zur Seite und entdeckte Emancipor Reese, der oben auf dem Wagen saß und mit einer Hand die struppige Katze auf seinem Schoß streichelte. Räude? Grantl überlegte. Wahrscheinlich nicht.
Der große Wolf umkreiste den Körper mit gesenktem, zur Seite gewandten Kopf, so dass er den bewusstlosen Sterblichen immer mit seinem einen Auge sehen konnte.
Ins Gewirr des Chaos kamen nur wenige Besucher. Von diesen wenigen waren sterbliche Menschen mit Abstand die seltensten. Der Wolf war lange durch diese unwirtliche Landschaft gewandert – so lange, dass er nicht mehr wusste, wie lange. Seit einer endlosen Zeitspanne allein und verloren, hatte sein Geist neue, aus der Einsamkeit geborene Formen gefunden; seine Gedanken bewegten sich auf anscheinend zufällig ausgewählten Pfaden. Nur die wenigsten hätten im wilden Glanz seines Auges Bewusstsein oder Intelligenz erkannt, beides jedoch war durchaus vorhanden.
Mächtige Muskeln bewegten sich unter dem stumpfweißen Fell, während der Wolf weiter seine Kreise zog, den Kopf gesenkt und dem Körper zugewandt, das eine Auge fest auf den ausgestreckt daliegenden Menschen gerichtet.
Die angestrengte Konzentration zeigte Wirkung, hielt das Objekt, dem diese Aufmerksamkeit galt, in einem zeitlosen Zustand – eine zufällige Folge der Kräfte, die der Wolf in diesem Gewirr in sich aufgenommen hatte.
Der Wolf erinnerte sich kaum noch an die anderen Welten, die jenseits des Chaos existierten. Er wusste nichts von den Menschen, die ihn wie einen Gott anbeteten. Doch ein gewisses Wissen war über das Tier gekommen, ein instinktives Gespür, das von … Möglichkeiten kündete. Von Potenzialen. Von Entscheidungen, die der Wolf jetzt, da er diesen zerbrechlichen Menschen entdeckt hatte, treffen konnte.
Doch auch wenn dem so war, zögerte das Geschöpf.
Es gab Risiken. Und die Entscheidung, die sich nun allmählich abzeichnete, ließ den Wolf erzittern.
Er zog seine Kreise enger, immer enger um die bewusstlose Gestalt. Endlich richtete
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