SdG 04 - Die eisige Zeit
fragte sich, ob es ihnen wohl gelungen war. Das Wesen, das in dem Grab, auf dem er jetzt stand, gefangen gewesen war, hatte sich ohne Frage einer schrecklichen Aufgabe gegenübergesehen – Schutzzauber, feste Mauern und schließlich noch Armspanne um Armspanne zusammengepresstes, zerschmettertes Glas. Nun, ich nehme an, in Anbetracht der Alternativen wäre ich wahrscheinlich genauso verzweifelt und entschlossen gewesen. Wie lange hat es gedauert? Wie bösartig und entstellt war der Geist dieses Wesens, als es sich endlich befreit hatte?
Er erschauerte, was ihm einen erneuten rauen Hustenanfall bescherte. Es gab viele Geheimnisse auf der Welt, und nur die wenigsten davon waren angenehm.
Er stieg von dem Hügel herunter, wobei er den Krater umging, und machte sich auf den Weg zu dem verfallenen Turm. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das Wesen, das einst in dem Grab gewesen war, sich noch länger an diesem Ort aufgehalten hatte. Ich hätte dafür gesorgt, dass ich so weit und so schnell wie möglich von hier wegkomme. Es gab keine Möglichkeit festzustellen, wie viel Zeit seit der Flucht der Kreatur verstrichen war, aber Tocs Bauch sagte ihm, dass es Jahre waren, wenn nicht Jahrzehnte. Merkwürdigerweise empfand er überhaupt keine Furcht, trotz der ungastlichen Umgebung und all der Geheimnisse unter der verwüsteten Oberfläche dieses Landes. Welche Drohung auch immer von diesem Ort ausgegangen sein mochte, sie schien ihm lang dahin.
Vierzig Schritte vom Turm entfernt wäre er beinahe über einen Leichnam gestolpert, der vollständig unter einer feinen Staubschicht verborgen lag. Von Tocs hastigen, unsicheren Schritten aufgewirbelt, stieg der Staub in einer Wolke auf. Fluchend spuckte der Malazaner Dreck aus.
Durch den wirbelnden, glitzernden Staubschleier sah er, dass die Knochen einem Menschen gehört hatten. Zugegeben, einem ziemlich vierschrötigen Menschen mit schwerem Körperbau. Die Muskeln waren zu nussbraunen Strängen vertrocknet, und die Felle und Häute, mit denen dieser Mensch teilweise bekleidet gewesen war, waren bis auf ein paar Streifen verrottet. Ein Knochenhelm, der aus dem Schädel eines gehörnten Tiers gemacht worden war, saß auf dem Kopf der Mumie. Ein Horn war irgendwann in ferner Vergangenheit abgebrochen. Ein staubbedecktes zweihändiges Schwert lag dicht daneben. Wenn man vom Schädel des Vermummten spricht …
Toc der Jüngere starrte mit finsterem Gesicht auf die Gestalt am Boden hinunter. »Was machst du denn hier?«, wollte er wissen.
»Warten«, antwortete der T’lan Imass mit einer Stimme, die klang, als striche man über raues Leder.
Toc durchforstete seine Erinnerungen nach dem Namen des untoten Kriegers. »Onos T’oolan«, sagte er dann, zufrieden mit sich. »Vom Tarad-Clan – «
»Ich werde jetzt Tool genannt. Bin ohne Clan. Frei.«
Frei? Frei, um was genau zu tun, du alter Knochensack? Irgendwo im Ödland rumzuliegen?
»Was ist mit der Mandata geschehen? Wo sind wir?«
»Verloren.«
»Auf welche meiner Fragen ist das die Antwort, Tool?«
»Auf beide.«
Toc knirschte mit den Zähnen, widerstand jedoch der Versuchung, den T’lan Imass zu treten. »Könntest du dich vielleicht ein bisschen genauer ausdrücken?«
»Vielleicht.«
»Und?«
»Maxidata Lora wurde vor zwei Monaten in Darujhistan getötet. Wir sind an einem sehr alten Ort namens Morn, zweihundert Längen weiter südlich. Es ist jetzt kurz nach Mittag.«
»Kurz nach Mittag, hast du gesagt. Vielen Dank für die Erleuchtung.« Er fand wenig Gefallen daran, sich mit einer Kreatur zu unterhalten, die bereits seit Hunderttausenden von Jahren existierte, und dieses Unbehagen ließ ihn sarkastisch werden – was genauer betrachtet gleichermaßen vermessen wie gefährlich war. Werd endlich wieder ernst, du verdammter Idiot. Er trägt das Feuersteinschwert da schließlich nicht nur zur Schau. »Habt ihr beide den Jaghut-Tyrannen befreit?«
»Für kurze Zeit. Die Bemühungen des Imperiums, Darujhistan zu erobern, sind fehl geschlagen.«
Toc warf dem Imass einen finsteren Blick zu und verschränkte die Arme. »Du hast gesagt, du würdest warten. Worauf wartest du?«
»Sie ist einige Zeit weg gewesen. Jetzt kehrt sie wieder zurück.«
»Wer?«
»Sie, die den Turm in Besitz genommen hat, Soldat.«
»Kannst du vielleicht wenigstens aufstehen, wenn du mit mir sprichst?« Bevor ich der Versuchung womöglich doch noch nachgebe.
Der T’lan Imass erhob sich mit einer ganzen Reihe knirschender Geräusche;
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