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SdG 04 - Die eisige Zeit

SdG 04 - Die eisige Zeit

Titel: SdG 04 - Die eisige Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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breitete sich von einer zur anderen aus.
    Auf ihrem Marsch von Bastion hierher war die Armee an einem Dorf vorbeigekommen, das sich der Umarmung des Glaubens verweigert hatte. Toc hatte zugesehen, wie Anaster seine Mutter und ihre Gefolgsleute auf den Weiler losgelassen hatte, hatte zugesehen, als sie sich Männer und Jungen gleichermaßen vorgenommen, mit ihren Messern tödliche Stiche ausgeteilt hatten und dann in einer Art und Weise über die Leichen geschwärmt waren, wie es die schlimmsten Bestien nicht gekonnt hätten. Und die Gedanken, die er damals gehabt hatte, waren nun tief in seine Seele eingegraben. Sie waren einst menschlich, diese Frauen. Sie haben in Städten und Dörfern gelebt, die sich nicht von diesem hier unterschieden haben. Sie waren Ehefrauen und Mütter, die sich um ihr Heim und ihr Vieh gekümmert haben. Sie haben getanzt, und sie haben geweint, sie waren fromm und haben voller Respekt die alten Götter geehrt. Sie haben ein ganz normales Leben geführt.
    In dem Pannionischen Seher und dem Gott, der durch ihn sprach, war irgendein Gift. Ein Gift, das aus Familienerinnerungen geboren schien. Erinnerungen, die stark genug waren, um die ältesten aller Bande zu lösen. Vielleicht ein betrogenes Kind. Ein Kind, das an der Hand geführt wurde … mitten hinein in Entsetzen und Schmerz. Genauso fühlt es sich an – all das, was ich hier um mich herum sehe. Anasters Mutter, zu etwas Bösartigem neu geformt, auf der Folterbank in eine albtraumhafte Rolle hineingeboren. Eine Mutter, die keine Mutter mehr ist, ein Eheweib, das kein Eheweib mehr ist, eine Frau, die keine Frau mehr ist.
    Schreie stiegen in die Luft und verkündeten das Auftauchen einer Gruppe von Reitern, die aus dem Tor an der Rampe von Wachts äußerer Mauer hervorkamen. Toc drehte den Kopf, musterte die Besucher, während sie im immer düsterer werdenden Zwielicht näher kamen. Bewaffnet und gerüstet. Ein Urdo-Kommandant, flankiert von zwei Domänensern, und in ihrem Gefolge ritt eine Truppe aus Urdomen, immer drei nebeneinander und sieben hintereinander.
    Und hinter den Truppen kam ein K’ell-Jäger.
    Eine Geste von Anaster beorderte seine Leutnants auf den kleinen Hügel, den er sich als Hauptquartier ausgesucht hatte. Unter ihnen befand sich auch Toc der Jüngere.
    Das Augenweiß des Ersten hatte die Farbe von Honig, seine Pupillen waren von einem trüben Schiefergrau. Fackellicht erhellte sein alabasterfarbenes Gesicht, ließ seine vollen Lippen merkwürdig rot erscheinen. Er war wieder auf sein großes, müdes Reittier gestiegen und hockte nun in sich zusammengesunken ohne Sattel auf dem breiten Pferderücken. Er musterte seine Offiziere. »Es gibt Neuigkeiten«, krächzte er.
    Toc hatte ihn noch niemals lauter sprechen hören. Vielleicht konnte der Bursche auch gar nicht laut werden, vielleicht war er mit einem Fehler am Kehlkopf oder der Zunge geboren worden. Vielleicht war es aber auch nur niemals notwendig gewesen.
    »Der Seher und ich haben im Geist miteinander gesprochen, und nun weiß ich mehr als selbst die Höflinge in den heiligen Mauern von Wacht. Septarch Ultentha von Korall ist zum Seher gerufen worden, was zu vielen Spekulationen Anlass gegeben hat.«
    »Was gibt es Neues von der Nordgrenze, Glorreicher Erster?«, fragte einer der Leutnants.
    »Die Belagerung hat bereits begonnen, meine Kinder. Ich fürchte, wir werden zu spät kommen, um am Sturm auf Capustan teilzunehmen.«
    Die Leutnants holten zischend Luft.
    Ich fürchte, unser Hunger wird nicht enden. Das war die wahre Bedeutung von Anasters Worten.
    »Es heißt, Kaimerlor, ein großes Dorf im Osten, hat sich der Umarmung verweigert«, sagte ein anderer Offizier. »Glorreicher Erster, vielleicht – «
    »Nein«, krächzte Anaster. »Jenseits von Capustan warten die Barghast. Zu Hunderttausenden, sagt man. Untereinander zerstritten. Schwach im Glauben. Wir werden alles finden, was wir brauchen, meine Kinder.«
    Wir werden es nicht schaffen. Toc wusste dies mit Sicherheit, genau wie die anderen. Doch niemand sagte etwas.
    Anasters Blicke hingen an den näher kommenden Soldaten. »In der Zwischenzeit«, sagte er, »hat der Seher für uns ein Geschenk vorbereitet. Ihm ist unser Mangel an Nahrung bekannt. Es scheint«, fuhr er unbarmherzig fort, »dass die Bürger von Korall … für ungenügend befunden wurden. Dies ist die Wahrheit hinter all den Spekulationen. Wir brauchen nur noch die ruhigen Wasser des Ortnal-Grabens zu überqueren, um unsere Bäuche

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