SdG 04 - Die eisige Zeit
wir sie brauchen. Sie und ihre ganze Macht. Denn in der Pannionischen Domäne erwartet uns alle Entsetzliches …«
»Die anderen müssen davon erfahren, von diesem Segensspruch – müssen wissen, was er bedeutet, Silberfuchs –, und sie müssen auch mehr über die Bedrohung erfahren, die uns in der Pannionischen Domäne erwartet. Bruth, Kallor – «
Sie schüttelte den Kopf. »Mein Segen geht sie nichts an. Eigentlich geht er niemanden außer mir etwas an. Und die T’lan Imass selbst. Was hingegen die Pannionische Domäne betrifft … da muss ich erst selbst noch mehr erfahren, bevor ich es wagen kann, darüber zu sprechen. Paran, ich habe dir diese Dinge erzählt, weil ich mich daran erinnere, was einmal zwischen uns war und was aus dir – uns – geworden ist.«
Und was ist aus uns geworden? Nein, das ist keine Frage, die ich mir jetzt stellen sollte. »Jen’isand Rul.«
Sie runzelte die Stirn. »Das ist eine Seite von dir, die ich nicht verstehe. Aber da ist noch mehr, Paran.« Sie zögerte kurz, ehe sie weitersprach. »Sag mir, was weißt du über die Drachenkarten?«
»So gut wie nichts.« Aber er lächelte, denn er hörte jetzt Flickenseel in ihr, hörte sie deutlicher als in der ganzen Zeit zuvor.
Silberfuchs holte tief Luft, hielt den Atemzug einen Augenblick in der Lunge, ehe sie ihn langsam wieder ausstieß, den verschleierten Blick auf die aufgehende Sonne gerichtet. »Die Drachenkarten. Eine Art Struktur, die der Macht an sich auferlegt wurde. Wer hat sie geschaffen? Niemand weiß es. Meine Überzeugung – Flickenseels Überzeugung – ist, dass jede Karte ein Tor in ein Gewirr darstellt, und einst gab es viel mehr Karten als heute noch übrig sind. Es mag noch andere Kartenspiele gegeben haben – es mag sogar selbst jetzt noch andere Kartenspiele geben …«
Er musterte sie. »Du hast noch einen anderen Verdacht, stimmt’s?«
»Ja. Ich habe gesagt, dass niemand weiß, wer die Drachenkarten geschaffen hat. Doch es gibt noch etwas anderes, das ebenso geheimnisvoll ist, auch eine Art von Struktur, die auf Macht an sich ausgerichtet ist. Denk an die Begriffe, die bei den Drachenkarten benutzt werden. Häuser … die Häuser des Dunkels, des Lichts, des Lebens und des Todes …« Sie drehte sich langsam zu ihm um. »Denk an das Wort ›Finnest‹. Seine Bedeutung, so wie die T’lan Imass es kennen, ist ›Feste des Eises‹. Vor langer Zeit, bei den Älteren Völkern, war der Begriff ›Feste‹ in seiner Auslegung und seinem allgemeinen Gebrauch gleich bedeutend mit Haus, und außerdem auch gleich bedeutend mit Gewirr. Wo liegt die Quelle der Macht eines Jaghut? In einem Finnest.« Sie verstummte erneut, blickte Paran in die Augen. »Tremorlor ist trellisch und bedeutet ›Haus des Lebens‹.«
Finnest … wie in Finnest-Haus, in Darujhistan … ein Azath-Haus. »Ich habe noch nie von Tremorlor gehört.«
»Das ist ein Azath-Haus im Reich der Sieben Städte. In Malaz, der Stadt Malaz, daheim in deinem Imperium, gibt es das Totenhaus – das Haus des Todes …«
»Du glaubst, dass die Azath-Häuser und die Häuser der Drachenkarten ein und dasselbe sind.«
»Ja. Oder dass sie miteinander verbunden sind. Irgendwie. Denk darüber nach.«
Genau das tat Paran. Er wusste kaum etwas von den Azath-Häusern oder den Drachenkarten, und er konnte sich vor allem nicht vorstellen, in welcher besonderen Beziehung er zu diesen Dingen stehen sollte. Sein Unbehagen wurde größer, gefolgt von einem schmerzhaften Brodeln in seinem Bauch. Der Hauptmann starrte finster vor sich hin. Er war zu müde, um noch klar denken zu können, doch er musste nachdenken. »Es heißt, Kellanved, der alte Imperator, und Tanzer haben einen Weg ins Innere des Totenhauses gefunden …«
»Kellanved und Tanzer sind seitdem aufgestiegen und beherrschen jetzt das Haus des Schattens. Kellanved ist Schattenthron, und Tanzer ist Cotillion, das Seil, der Schutzpatron der Assassinen.«
Der Hauptmann starrte sie an. »Was?«
Silberfuchs grinste. »Es ist ganz klar, wenn man erst anfängt, in die richtige Richtung zu denken, oder? Wer von den Aufgestiegenen ist auf Laseen losgegangen … mit dem Ziel, sie zu vernichten? Schattenthron und Cotillion. Warum sollten sich zwei Aufgestiegene auf die eine oder andere Weise darum scheren, was eine Sterbliche tut? Es sei denn, sie dürsten nach Rache.«
Parans Gedanken rasten zurück zu einer Straße an der Küste von Itko Kan, zu einem schrecklichen Gemetzel; er erinnerte sich an
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