SdG 05 - Der Tag des Sehers
auf dieser Seite des Flusses hing noch immer ein Dunst aus Staub und dem Rauch von Dungfeuern, der wie ein Witwenschleier über die mehr als zwanzigtausend Zelte der Armee drapiert war. Abgesehen von ein paar hundert Rhivi-Hirten und der Bhederin-Herde, die sie im Morgengrauen herübertreiben sollten, befand sich die gesamte Streitmacht der Invasoren jetzt auf pannionischem Territorium.
Niemand hatte versucht, sie an der Überquerung zu hindern. Die niedrigen Hügel im Süden schienen bar allen Lebens, enthüllten nichts als die Spuren, die Septarch Kulpaths Belagerungsarmee zurückgelassen hatte.
Grantl trat an seine Seite. »Irgendetwas sagt mir, dass wir den ganzen Weg bis nach Korall durch verwüstetes Land marschieren werden.«
»Das scheint wahrscheinlich, mein Herr. Zumindest ist es das, was ich getan hätte, wenn ich der Seher wäre.«
»Ich frage mich manchmal, ob Bruth und Dujek klar ist, dass die Armee, die Capustan belagert hat, nur eine von mindestens dreien von vergleichbarer Größe war. Und Kulpath war zwar ein besonders erfolgreicher Septarch, aber es gibt immer noch sechs andere, die uns Kummer bereiten können.«
Itkovian riss den Blick von dem Lager vor ihm los, um den ungeschlachten Krieger an seiner Seite zu mustern. »Wir müssen davon ausgehen, dass der Feind sich auf uns vorbereitet. Doch im Innern der Domäne rieseln jetzt die letzten Körner durch das Stundenglas.«
Treachs Todbringendes Schwert grunzte. »Wisst Ihr etwas, was wir anderen nicht wissen?«
»Nichts Bestimmtes, mein Herr. Ich habe nichts weiter getan, als Schlüsse gezogen, die auf den Einzelheiten gründen, die zu beobachten ich in der Lage war, als ich Kulpaths Armee und die Tenescowri gesehen habe.«
»Nun, dann behaltet diese Schlüsse nicht für Euch.«
Itkovian richtete den Blick wieder nach Süden. Nach einem Moment seufzte er. »Städte und Regierungen sind nichts weiter als die blühende Spitze einer Pflanze, deren Stängel das gemeine Volk ist; das gemeine Volk wiederum hat seine Wurzeln in der Erde und zieht daraus die notwendige Nahrung, die die Blume am Leben erhält. Die Tenescowri, mein Herr, sind das überlebende gemeine Volk der Domäne – Menschen, die von ihrem Land gerissen wurden, aus ihren Städten, ihren Häusern, von ihren Gehöften. Niemand stellt mehr irgendwelche Nahrungsmittel her – und der daraus resultierende Hunger hat zum Grauen des Kannibalismus geführt. Das Land vor uns ist in der Tat verwüstet, aber nicht unsertwegen. Es ist schon seit einiger Zeit Ödland, mein Herr. Und daher ist die Blume, auch wenn sie noch mit ihren Farben prunkt, in Wirklichkeit bereits tot.«
»Und hängt als Trockenblume an einem Haken unter dem Sims des Verkrüppelten Gottes?«
Itkovian zuckte die Schultern. »Caladan Bruth und Hohefaust Dujek haben Städte als Ziele unseres Vormarschs ausgewählt. Lest, Setta, Maurik und Korall. Von diesen lebt nur noch Letztere, wie ich glaube. Keine der anderen wäre in der Lage, eine Verteidigungsarmee zu verpflegen; tatsächlich können sie noch nicht einmal ihre eigenen Bürger ernähren – wenn noch welche übrig sind. Dem Seher bleibt gar nichts anderes übrig, als seine Streitkräfte auf die eine Stadt zu konzentrieren, in der er nun residiert, und seinen Soldaten wird nichts anderes übrig bleiben, als die Praktiken der Tenescowri anzunehmen. Ich vermute, dass die Tenescowri letzten Endes aus genau diesem Grund geschaffen worden sind – um als Nahrung für die Soldaten zu dienen.«
Grantls Miene war besorgt. »Was Ihr beschreibt, Itkovian, ist ein Reich, das nie dazu gedacht war, sich selbst zu erhalten.«
»Es sei denn, es könnte sich ohne Ende weiter und weiter ausdehnen.«
»Aber selbst dann wäre es nur an den äußersten, immer weiter vorrückenden Rändern lebendig, die sich von einem toten Kern ausbreiten würden, einem Kern, der mit den Rändern wächst.«
Itkovian nickte. »So ist es, mein Herr.«
»Das heißt, wenn Bruth und Dujek vor Setta, Lest und Maurik mit Kämpfen rechnen, könnte es sein, dass sie eine Überraschung erleben.«
»Das glaube ich jedenfalls.«
»Diese Malazaner werden also einen langen, vollkommen sinnlosen Marsch hinter sich bringen, wenn Ihr Recht habt«, bemerkte Grantl.
»Vielleicht gibt es noch andere Gründe, die die Aufteilung unserer Kräfte rechtfertigen, Todbringendes Schwert.«
»Ihr meint, sie sind sich nicht ganz so einig, wie sie uns glauben machen wollen?«
»In unserer Streitmacht sind mächtige
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