SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
du vielleicht selbst erkennen, dass Bedauern an sich so gut wie nichts ist. Es kommt darauf an, wie man mit diesem Gefühl umgeht.«
Schlitzer drehte sich langsam um und starrte auf das dunkle Meer hinaus. »Ich habe Oponns Münze in den See geworfen«, sagte er.
»Und jetzt bedauerst du es?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich mochte ihre … Aufmerksamkeit nicht.«
»Das überrascht mich nicht«, murmelte Cotillion.
»Ich habe noch eine weitere Bitte«, sagte Schlitzer, als er sich dem Gott wieder zuwandte. »Diese Aufgabe, auf die Ihr mich ansetzt – wenn ich dabei angegriffen werde, kann ich dann Blind zu Hilfe rufen?«
»Die Hündin?« Der erstaunte Unterton in Cotillions Stimme war nicht zu überhören.
»Ja«, erwiderte Schlitzer, den Blick auf das riesige Tier gerichtet. »Ihre Aufmerksamkeit … tröstet mich.«
»Das macht dich zu etwas noch viel Seltenerem, als du es dir vorstellen kannst, Sterblicher. Also gut. Wenn die Not groß ist, ruf nach ihr, und sie wird kommen.«
Schlitzer nickte. »Und nun – was soll ich für Euch tun?«
Die Sonne war schon wieder über den Horizont geklettert, als Apsalar zurückkehrte. Nachdem Schlitzer ein paar Stunden geschlafen hatte, war er aufgestanden, um Rellock oberhalb der Flutlinie zu begraben. Er war gerade dabei, den Rumpf des Bootes ein letztes Mal zu überprüfen, als ein fremder Schatten neben seinem eigenen auftauchte.
»Du hattest Besuch«, sagte sie.
Er blinzelte zu ihr hoch, schaute ihr in die dunklen, unergründlichen Augen. »Stimmt.«
»Und – hast du jetzt eine Antwort auf meine Frage?«
Schlitzer runzelte die Stirn, dann seufzte er und nickte. »Das habe ich. Wir werden eine Insel erforschen.«
»Eine Insel? Ist sie weit weg?«
»Geht so. Aber sie entfernt sich jeden Augenblick mehr von uns.«
»Oh. Natürlich.«
Natürlich.
Über ihren Köpfen kreischten Möwen, die im Licht des frühen Morgens unterwegs hinaus aufs Meer waren. Jenseits der Untiefen ließen sich die weißen Flecken vom Wind nach Südwesten treiben.
Schlitzer lehnte die Schulter gegen den Bug und schob das kleine Boot zurück ins Wasser. Dann kletterte er an Bord. Apsalar folgte ihm und stellte sich an die Ruderpinne.
Und was jetzt? Ein Gott hatte ihm die Antwort gegeben.
Fünf Monate lang hatte es in der Sphäre, die die Tiste Edur das Entstehende nannten, keinen Sonnenuntergang gegeben. Der Himmel war grau, das Licht merkwürdig gefärbt und diffus. Es hatte eine Flut gegeben, dann Regenfälle, und eine Welt war vernichtet worden.
Doch selbst in all den Trümmern gab es Leben.
Ein gutes Dutzend Welse mit grobschlächtigen Gliedmaßen war die schlammbedeckte Mauer hinaufgeklettert; keiner von ihnen maß weniger als zwei Mannslängen vom breiten Kopf bis zum schlaffen Schwanz. Es waren gut genährte Kreaturen, deren silberweiße Bäuche sich nach allen Seiten wölbten. Ihre Haut war getrocknet, und über ihre dunklen Rücken lief ein Netzwerk aus winzigen Rissen. Ihre kleinen schwarzen Augen wirkten unter den gekräuselten Hautschichten stumpf.
Und es schien, als würden diese Augen den einzelnen T’lan Imass nicht wahrnehmen, der über ihnen stand.
In Onracks zerrissener, vertrockneter Seele hallten immer noch Empfindungen wider, die an Neugier erinnerten. Seine Gelenke knirschten unter den verknoteten Strängen von Sehnen und Bändern, als er sich neben den nächsten Wels kauerte. Er glaubte nicht, dass die Kreaturen tot waren. Noch vor kurzer Zeit hatten diese Fische keine echten Gliedmaßen besessen. Er vermutete, dass er Zeuge einer Metamorphose wurde.
Wenig später richtete er sich langsam wieder auf. In diesem Bereich der Mauer hatte die Zauberei, die ihr half, das unermessliche Gewicht des neuen Meeres zu tragen, immer noch Bestand. An anderen Stellen war sie zusammengebrochen, und es hatten sich breite Breschen gebildet, durch die sich gewaltige Ströme schlammiger Fluten auf die andere Seite ergossen. Ein seichtes Meer breitete sich auf jener Seite aus. Es könnte eine Zeit kommen, vermutete Onrack, da ein paar Überreste dieser Mauer die einzigen Inseln in dieser Sphäre darstellen würden.
Die sintflutartige Ankunft des Meeres hatte sie überrascht, so dass sie in dem taumelnden Mahlstrom verstreut worden waren. Andere Verwandte hatten überlebt, wusste der T’lan Imass, und tatsächlich hatten ein paar von ihnen auf dieser Mauer – oder auf dem treibenden Unrat – Halt gefunden; es hatte ausgereicht, um wieder Gestalt anzunehmen
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