SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
»Und jetzt, da sein geliebter Elster tot ist, sogar noch weniger.«
»Und was ist, wenn sich der Schnelle Ben wieder mit dem verdammten Assassinen zusammentut? Was dann?«, fuhr Kamist seinen Kameraden an.
Der Napanese zuckte die Schultern. »Ihre Gedanken werden nur um den Schlächter aus Bruths Gefolge kreisen, schließlich haben wir Elster nicht getötet … Fürchte dich nicht vor etwas, das niemals geschehen wird, alter Freund.«
Überraschend hallte Sha’iks Stimme durch den Raum. »Alle bis auf Heboric raus! Sofort!«
Verständnislose Blicke, dann standen die anderen auf.
Felisin die Jüngere zögerte. »Mutter?«
»Du auch, Kind. Raus.«
L’oric versuchte es noch einmal. »Da ist noch diese Sache mit dem neuen Haus und all dem, was es bedeutet, Erw – «
»Morgen. Morgen Abend werden wir die Diskussion wieder aufnehmen. Und jetzt raus!«
Kurze Zeit später war Heboric mit Sha’ik allein. Sie starrte ihn einige Zeit lang schweigend an, dann stand sie plötzlich auf und trat von der Estrade herunter. Sie sank vor Heboric auf die Knie, nah genug, dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Es war tränenüberströmt.
»Mein Bruder lebt!«, schluchzte sie.
Und plötzlich lag sie in seinen Armen, presste ihr Gesicht an seine Schulter, während immer neue Schauder ihre kleine, zerbrechliche Gestalt durchliefen.
Halb betäubt verharrte Heboric vollkommen reglos.
Sie weinte lange, sehr lange, und er drückte sie eng an sich, hielt sie, so fest er konnte. Und jedes Mal, wenn das Bild seines gefallenen Gottes vor seinem inneren Auge aufstieg, schob er es unbarmherzig beiseite. Das Kind in seinen Armen – denn nun war sie wieder ein Kind – weinte, gab sich ganz dem Schmerz der Erlösung hin. Sie war nicht mehr allein, nicht mehr allein mit ihrer verhassten Schwester, die das Blut der Familie besudelte.
Und aus diesem Grund – weil er hier und jetzt gebraucht wurde – würde sein eigener Kummer warten müssen.
Kapitel Acht
Die unerfahrenen Rekruten der Vierzehnten Armee stammten gut zur Hälfte vom Kontinent Quon Tali, direkt aus dem Herzen des Imperiums. Jung und voller Idealismus betraten sie im Gefolge der Opfer, die ihre Väter und Mütter, ihre Großväter und Großmütter gebracht hatten, einen Boden, der mit Blut getränkt war. Darin liegt der eigentliche Schrecken des Krieges: mit jeder weiteren Generation wird der Albtraum von Unschuldigen neu belebt.
Die Sha’ik-Rebellion, Illusionen des Sieges
Imrygyn Tallobant
M
andata Tavore stand allein vor viertausend hin und her wogenden, drängelnden Soldaten, während inmitten des Tumults Offiziere brüllten und riefen, deren Stimmen schon rau vor Verzweiflung waren. Piken, auf deren Klingen sich blendende Lichtblitze spiegelten, bewegten sich wie aufgeschreckte stählerne Vögel durch die staubgeschwängerte Luft des Exerzierplatzes. Die Sonne über ihnen war wie ein wütender Glutofen.
Faust Gamet stand zwanzig Schritt hinter Tavore und starrte die Mandata mit Tränen in den Augen an. Ein bösartiger Wind trieb die Staubwolke genau auf sie zu, hüllte sie binnen weniger Augenblicke ein. Doch sie rührte sich nicht, ihr Rücken war kerzengerade, die behandschuhten Hände ruhten reglos an ihren Seiten.
Kein Kommandant konnte je einsamer sein als sie in diesem Augenblick. Allein – und hilflos.
Und was noch schlimmer ist – das da ist meine Legion. Die Achte. Die als Erste antreten sollte, Bern schütze uns alle.
Doch sie hatte befohlen, dass er bleiben sollte, wo er war, wenn auch vielleicht nur, um ihm die Demütigung zu ersparen, die jeder Versuch, irgendeine Art von Ordnung in seine Truppen zu bringen, unweigerlich nach sich gezogen hätte. Stattdessen hatte sie selbst die Demütigung hingenommen. Und Gamet weinte für sie, unfähig, seine Scham und seinen Kummer zu verbergen.
Arens Exerzierplatz war eine große Fläche aus festgetrampelter, beinahe weißer Erde. Sechstausend voll gerüstete Soldaten konnten in Reih und Glied hier stehen, mit ausreichend breiten Korridoren zwischen den Kompanien, damit die Offiziere sie alle einzeln inspizieren konnten. Die Vierzehnte Armee sollte in drei Gruppen unter dem prüfenden Blick von Mandata Tavore antreten, immer eine Legion nach der anderen. Gamets Achte war als unzusammenhängender, in Auflösung begriffener Mob vor mehr als zwei Glockenschlägen hier eingetroffen; sämtliche Lektionen, die die Ausbildungssergeanten den Soldaten beigebracht hatten, waren wie weggeblasen, und die
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