SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
wurde von den Teblor mit einem Lied gefeiert. Die Erinnerungen seines Volkes waren verdreht, wie Karsa Orlong mittlerweile wusste. Mehr oder weniger vergessen, wenn sie unangenehm waren, in einem wütenden Feuer des Ruhmes entbrannt, wenn sie heldenhaft waren. In einer jeden Geschichte waren Niederlagen zu Siegen verkehrt worden.
Er wünschte sich, dass Bairoth noch am Leben wäre, dass sein scharfsinniger Kamerad mehr tun würde, als seine Träume heimzusuchen oder als ein Ding aus grob behauenem Stein vor ihm zu stehen, das durch ein zufälliges Abrutschen des Meißels einen spöttischen, fast schon höhnischen Gesichtsausdruck erhalten hatte.
Bairoth hätte ihm viel erzählen können, was er in diesem Augenblick gern gewusst hätte. Wenngleich Karsa mit der geheiligten Lichtung ihres Heimatlands viel vertrauter war, als Bairoth oder auch Delum Thord es waren, und daher sichergehen konnte, dass die Abbilder eine gewisse Ähnlichkeit besaßen, spürte der Krieger doch, dass den sieben Gesichtern, die er in die versteinerten Bäume gemeißelt hatte, etwas grundlegend Wichtiges fehlte. Vielleicht drückte sich hierin nun doch ein Mangel an Talent aus, obwohl das bei den Statuen von Bairoth und Delum nicht der Fall zu sein schien. Diese Statuen schienen die Energie ihres Lebens zu verströmen, als ob sie sich mit der Erinnerung des versteinerten Holzes vermischt hätte. Und so wie der ganze Wald den Eindruck machte, als würden die Bäume nur das Kommen des Frühlings erwarten, einer Wiedergeburt unter dem Rad der Sterne entgegensehen, schienen auch die beiden Teblor-Krieger nur den Wechsel der Jahreszeiten zu erwarten.
Doch die Raraku trotzte jeder Jahreszeit. Die Raraku war ewig in ihrer Bedeutsamkeit, erwartete unaufhörlich die Wiedergeburt. Geduldig im Stein, geduldig im ruhelosen, immerfort murmelnden Sand.
Die Heilige Wüste schien Karsa ein perfekter Ort für die Sieben Götter der Teblor. Es war durchaus möglich, so dachte er, während er langsam vor den Gesichtern auf und ab ging, die er in die Stämme gemeißelt hatte, dass etwas von dem bösartigen Gefühl seine Hände vergiftet hatte. Wenn dem so war, war der Fehler für ihn nicht sichtbar. Es gab wenig in den Gesichtern der Götter und Göttinnen, das einen Ausdruck oder eine Haltung zugelassen hätte – in seiner Erinnerung sah er straff gespannte Haut über breiten, schweren Knochen, Brauenwülste, die wie Grate vorsprangen, so dass die Augen in tiefem Schatten lagen. Breite, flache Wangenknochen, ein schwerer, fliehender Kiefer … etwas Tierisches, das so ganz anders als die Gesichtszüge der Teblor war …
Er starrte finster drein, blieb vor Urugal stehen, den er – genau wie die sechs anderen – so geschaffen hatte, dass sich ihre Augen auf einer Höhe befanden. Schlangen glitten über seine staubigen, bloßen Füße; sie waren seine einzige Gesellschaft auf der Lichtung. Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt überschritten und begann zu sinken, doch die Hitze war immer noch schrecklich.
Nach einer längeren Zeit stummen Nachdenkens sagte Karsa laut: »Bairoth Gild, schau mit mir zusammen unseren Gott an. Sag mir, was mit ihm nicht stimmt. Wo habe ich geirrt? Das war doch dein größtes Talent, oder? Jeden falschen Schritt, den ich gemacht habe, hast du klar und deutlich erkannt. Du könntest fragen, was ich mit diesen Statuen erreichen wollte? Du würdest das auch fragen, denn es ist die einzige Frage, die eine Antwort wert ist. Aber ich habe keine Antwort für dich – oh, ja, ich kann dein Lachen über meine armselige Antwort fast hören.« Ich habe keine Antwort. »Vielleicht habe ich mir vorgestellt, du würdest dir ihre Gesellschaft wünschen, Bairoth. Die Gesellschaft der großen Teblor-Götter, die eines Tages erwacht sind.«
In den Gedanken der Schamanen. In ihren Träumen sind sie erwacht. Dort, und nur dort. Doch jetzt kenne ich den Geschmack dieser Träume, und er ist nicht wie das Lied. Ganz und gar nicht.
Er hatte diese Lichtung gefunden, als er die Einsamkeit gesucht hatte, und die Einsamkeit hatte ihn zu seinen künstlerischen Schöpfungen inspiriert. Doch nun, da er fertig war, fühlte er sich hier nicht mehr länger allein. Er hatte sein eigenes Leben an diesen Ort gebracht, das Vermächtnis seiner Taten. Doch dieser Ort hatte aufgehört, eine Zuflucht zu sein, und der Wunsch, ihn aufzusuchen, entsprang nun der Verlockung seiner Bemühungen, die ihn wieder und wieder hierher zogen. Zwischen den Schlangen
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