SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Ketten, daher spreche ich aus Erfahrung: Warte auf den richtigen Augenblick! Es wird sich eine günstige Gelegenheit ergeben, wenn du es schaffst, vorher nicht zu krepieren …«
»Oder zu ertrinken.«
»Ein Punkt für dich, und ja, ich habe verstanden, was du gemeint hast, als du von Mut gesprochen hast. Ich muss zugeben, dass mich einen Augenblick die Verzweiflung überwältigt hat.«
»Weißt du, wie lange du hier schon angekettet bist?«
»Nun, es hat Schnee gelegen, und das Eis auf dem See war gerade aufgebrochen.«
Karsa blickte langsam zu der kaum zu erkennenden, dürren Gestalt am anderen Ende. »Torvald Nom, nicht einmal ein Tiefländer sollte solch ein Schicksal erleiden müssen.«
Der Angesprochene lachte rasselnd. »Und du nennst uns Kinder. Ihr Teblor tötet Menschen, als wärt ihr Henker, aber bei uns Menschen ist eine Hinrichtung ein Akt der Gnade. Was den durchschnittlichen Bastard angeht, der erwischt und verurteilt wird, so ist viel wahrscheinlicher, dass er längere Zeit gefoltert wird. Die Nathii haben eine Kunst daraus gemacht, anderen Schmerz zuzufügen – das muss an den kalten Wintern oder so was liegen. Wie auch immer, wenn Silgar nicht Anspruch auf dich erheben würde – und die malazanischen Soldaten nicht in der Stadt wären –, würden die Einheimischen dir schon längst bei lebendigem Leib die Haut abziehen – schön langsam und in Streifen. Dann würden sie dich in einer Kiste einschließen, damit du heilen kannst. Sie wissen, dass ihr Teblor keine Entzündungen bekommt, was bedeutet, dass sie dich lange, sehr lange leiden lassen könnten. Ich könnte mir vorstellen, dass da draußen jetzt eine ganze Menge enttäuschter Städter herumlaufen.«
Karsa begann wieder an dem Eisenstab zu ziehen.
Stimmen von oben ließen ihn in seinen Bemühungen innehalten; es folgten schwere, dumpfe Geräusche, als wären mehr als ein Dutzend barfuß gehender Leute eingetroffen, dazu kam noch das Rasseln von Ketten, die über den Boden des Lagerhauses schleiften.
Karsa lehnte sich gegen die Schräge.
Die Falltür öffnete sich. Ein Kind ging voran, eine Laterne in der Hand, und dann kamen langsam Sunyd die Treppe herunter; sie hatten nichts weiter als grob gewebte kurze Röcke an und waren am linken Knöchel an eine Kette gefesselt, die sie alle miteinander verband. Der Tiefländer mit der Laterne ging den Laufgang zwischen den zwei Gräben entlang. Die Sunyd – es waren insgesamt elf, sechs Männer und fünf Frauen – folgten ihm.
Sie hatten die Köpfe gesenkt. Niemand wollte Karsas unverwandtem, kaltem Blick begegnen.
Auf eine Geste des Kindes hin, das vier große Schritte von Karsa entfernt Halt gemacht hatte, drehten sich die Sunyd um und glitten den Hang ihres Grabens hinunter. Drei weitere Tiefländer tauchten auf und folgten ihnen nach unten, um die am Baumstamm befestigten Fesseln an den noch freien Knöcheln der Teblor festzumachen. Die Sunyd leisteten keinerlei Widerstand.
Wenig später waren die Tiefländer wieder auf dem Laufgang, dann marschierten sie die Treppe hinauf. Die Falltür quietschte in ihren Angeln und fiel mit einem nachhallenden Dröhnen zu, das Staubschleier durch das Zwielicht trieb.
»Es stimmt also. Ein Uryd.« Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Karsa lachte höhnisch. »War das die Stimme eines Teblor? Nein, das kann nicht sein. Teblor werden keine Sklaven. Teblor würden eher sterben, als vor einem Tiefländer niederknien.«
»Ein Uryd … in Ketten. Genau wie wir – «
»Wie die Sunyd? Die zugelassen haben, dass diese widerlichen Kinder ganz dicht an sie herangekommen sind und ihnen Fesseln angelegt haben? Nein. Ich bin ein Gefangener, aber diese Ketten werden mich nicht lange halten können. Die Sunyd müssen daran erinnert werden, was es heißt, ein Teblor zu sein.«
Eine andere Stimme erklang aus der Gruppe der Sunyd. Die Stimme einer Frau. »Wir haben die Toten gesehen, die vor dem Lager der Jäger auf der Erde aufgereiht waren. Wir haben Karren voll toter Malazaner gesehen. Die Städter haben gejammert. Aber es heißt, ihr wärt nur zu dritt gewesen–«
»Zu zweit, nicht zu dritt. Unser Kamerad, Delum Thord, hatte eine Kopfverletzung erlitten, und sein Geist war nicht mehr klar. Er ist mit den Hunden gerannt. Wäre sein Geist heil gewesen und hätte er sein Blutschwert in den Händen gehabt – «
Plötzlich drang ein Gemurmel von den Sunyd herüber, die immer wieder mit ehrfürchtiger Stimme das Wort Blutschwert raunten.
Karsa
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