SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
entspannte, doch alle seine Gelenke schmerzten durch das lange Stilliegen, und er konnte nichts dagegen tun.
Manchmal geriet seine Disziplin ins Wanken, und seine Gedanken wanderten zurück zu der Dämonin, die er und seine Freunde befreit hatten. Jene Frau, die Forkassal, war eine unvorstellbar lange Zeit unter dem massiven Stein eingeklemmt gewesen. Sie hatte es geschafft, sich ein bisschen Bewegung zu verschaffen, und sie hatte sich zweifellos auch an das Gefühl geklammert voranzukommen – wenn auch schrecklich langsam –, als sie an dem Stein herumgekratzt hatte. Doch selbst wenn dem so war, konnte Karsa nicht begreifen, wie sie dem Wahnsinn und letzten Endes dem Tod hatte widerstehen können, der ihm gefolgt wäre.
Bei dem Gedanken an sie fühlte er sich beschämt; sein Geist war geschwächt durch seine zunehmende körperliche Schwäche in diesen Ketten, vom Liegen auf den roh behauenen Bohlen des Wagens, die seine Haut wund scheuerten, von seinen verdreckten Kleidern und der unerträglichen Tortur, die die Läuse und Flöhe darstellten.
Torvald begann mit ihm zu reden, wie er mit einem Kind geredet hätte – oder mit einem Schoßtier. Beruhigende Worte in einem besänftigenden Tonfall, und der Fluch des Zuvielredens verwandelte sich in etwas, an dem Karsa sich festhalten konnte, an das er sich immer fester und verzweifelter klammerte.
Die Worte fütterten ihn, hielten seinen Geist davon ab, zu verhungern. Sie maßen die Zyklen von Tagen und Nächten, die verstrichen, lehrten ihn die Sprache der Malazaner, vermittelten ihm eine Vorstellung von den Orten, durch die sie reisten. Nach Culvernfurt war Ninsanograeft gekommen, eine größere Stadt, wo Horden von Kindern auf den Wagen geklettert waren und ihn gestoßen und geknufft hatten, bis Scherbe gekommen war und sie vertrieben hatte. Dort hatten sie einen weiteren Fluss überquert. Dann führte ihr Weg sie nach Malybruck, eine Stadt von ähnlicher Größe wie Ninsanograeft, und siebzehn Tage später starrte Karsa schließlich zu dem bogenförmigen steinernen Torweg einer Stadt – Tanys – hinauf, dessen Wölbung über ihn hinwegglitt, während der Wagen sich rumpelnd über eine gepflasterte Straße quälte, an der große Gebäude mit drei oder sogar vier Stockwerken standen. Und rings um ihn waren die Geräusche von Menschen – von weit mehr Tiefländern, als Karsa sich je hätte träumen lassen.
Tanys war eine Hafenstadt, die auf einer stufig ansteigenden Hügelkette am Ostufer der Malynsee lag. Ihr Wasser war brackig, so wie man es auch in einer Reihe von Quellen in der Nähe der Rathyd-Grenzlande finden konnte. Doch die Malynsee war kein über die Ufer getretener, winziger Teich; sie war groß, und die Reise über sie zu der Stadt namens Malyntaeas dauerte vier Tage und drei Nächte.
Hier wurde Karsa auf ein Schiff verladen und dazu – mitsamt dem radlosen Wagenbett – zum ersten Mal aufrecht gestellt, was ihn auf eine neue Art folterte, da sein ganzes Gewicht nun an den Ketten hing. Seine Gelenke wollten vor Schmerz schier zerspringen, und Karsas Schreie gellten so lange ohne Unterlass durch die Luft, bis jemand ihm eine scharfe Flüssigkeit einflößte. Sie brannte in seiner Kehle, und man gab ihm so viel davon, bis sein Bauch voll war und er in Bewusstlosigkeit versank.
Als er wieder erwachte, stellte er fest, dass die Plattform, die ihn hielt, noch immer aufrecht stand; sie war an das angebunden, was Torvald den Hauptmast nannte. Der Daru war ganz in der Nähe angekettet worden, denn er hatte die Verantwortung für Karsas Wohlergehen übernommen.
Der Heiler des Schiffs hatte Karsas geschwollene Gelenke mit einer Salbe eingerieben, die die Schmerzen betäubt hatte. Doch dafür wüteten neue schreckliche Qualen hinter seinen Augen.
»Tut es weh?«, murmelte Torvald Nom. »Das nennt man einen Kater, mein Freund. Sie haben dir eine ganze Blase Rum eingeflößt, du glücklicher Bastard. Die Hälfte davon hast du natürlich wieder ausgekotzt, aber da er in der Zwischenzeit hinlänglich schlechter geworden war, konnte ich einigermaßen leichten Herzens darauf verzichten, das Deck abzulecken – und meine Würde bewahren. Tja, wir beide brauchen dringend ein wenig Schatten, oder wir werden bald anfangen zu fiebern und zu fantasieren – und glaub mir, du hast für uns beide schon mehr als genug fantasiert. Glücklicherweise in deiner eigenen Sprache, die an Bord kaum jemand – wenn überhaupt irgendwer – versteht. Und was Hauptmann Gütig und
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