SdG 07 - Das Haus der Ketten
nicht?«
»Er liebt die Assassine und hat sich deshalb entschlossen, so wie sie zu sein.«
»Jetzt verstehe ich den Kampf in deinem Innern.«
»Tatsächlich? Dann müsst Ihr auch verstehen, warum ich nicht zulassen werde, dass Ihr ihn bekommt.«
»Aber du täuschst dich, Apsalar. Schlitzer liebt nicht die Assassine in dir. Er findet sie anziehend, kein Zweifel, denn Macht ist immer anziehend … für uns alle. Und du besitzt Macht, einschließlich der Möglichkeit, sie nicht einzusetzen. Das ist alles sehr verlockend und verführerisch. Er fühlt sich hingezogen, dir in dem nachzueifern, was er als deine hart erkämpfte Freiheit betrachtet. Aber seine Liebe? Lassen wir doch unsere gemeinsamen Erinnerungen Wiederaufleben. An Darujhistan, an unsere erste kurze Begegnung mit Crokus, dem Dieb. Er hat gesehen, dass wir einen Mord begangen hatten, und er wusste, dass in unseren Augen sein Leben verwirkt gewesen wäre, wenn wir ihn entdeckt hätten. Hat er dich damals schon geliebt? Nein, das ist erst später geschehen, in den Hügeln östlich der Stadt – als ich dich verlassen hatte.«
»Liebe verändert sich mit der Zeit – «
»Stimmt, das tut sie, aber nicht wie eine Kapmotte, die auf einem Schlachtfeld von Leichnam zu Leichnam flattert.« Er räusperte sich. »Nun, ein schlecht gewählter Vergleich. Liebe verändert sich, ja, auf die Weise, dass sie wächst, um so viel wie möglich von dem zu umfassen, worauf sie gerichtet ist. Tugenden, Schwächen, Einschränkungen, alles – Liebe wird all diese Dinge hätscheln, mit kindlicher Faszination.«
Sie hatte sich bei seinen Worten die Arme eng um den Oberkörper geschlungen. »In mir sind zwei Frauen – «
»Zwei? In dir sind Unmengen von Frauen, Schätzchen, und Schlitzer liebt sie alle.«
»Ich will nicht, dass er stirbt!«
»Ist das deine Entscheidung?«
Sie nickte, hatte jedoch nicht genug Mut, um etwas zu erwidern. Der Himmel wurde heller, verwandelte sich in eine riesige leere Fläche über einer toten, arg mitgenommenen Landschaft. Sie sah Vögel, die sich auf warmen Luftströmungen in die unermessliche Weite tragen ließen.
Cotillion setzte nach. »Dann weißt du, was du zu tun hast?«
Apsalar nickte erneut.
»Ich bin … erfreut.«
Ihr Kopf fuhr herum, und sie starrte ihm ins Gesicht, das sie – wie ihr plötzlich klar wurde – zum ersten Mal richtig sah. Die Linien, welche die ruhigen, sanften Augen umgaben, die ebenmäßigen Gesichtszüge, das merkwürdig schraffiert wirkende Muster aus Narben unter seinem rechten Auge. »Ihr seid erfreut«, flüsterte sie, während sie ihn musterte. »Warum?«
»Weil ich den Jungen auch mag«, antwortete er mit einem leichten Lächeln.
»Was glaubt Ihr – wie tapfer bin ich?«
»So tapfer wie nötig.«
»Wieder.«
»Ja, wieder.«
»Ihr kommt mir eigentlich überhaupt nicht wie ein Gott vor, Cotillion.«
»Ich bin auch kein Gott im traditionellen Sinn, ich bin ein Patron. Patrone haben Verpflichtungen. Zugegeben, ich habe nur selten die Möglichkeit, ihnen nachzukommen.«
»Was bedeutet, dass sie noch keine Bürde sind.«
Sein Lächeln wurde breiter, und es war ein reizendes Lächeln. »Du bist seit dem Verlust deiner Unschuld viel wertvoller, Apsalar. Wir werden uns bald wiedersehen.« Er trat zurück in die Schatten im Zimmer.
»Cotillion.«
Er blieb stehen, die Arme halb erhoben. »Ja?«
»Danke. Und passt auf Schlitzer auf. Bitte.«
»Das werde ich tun, Apsalar – wie auf meinen eigenen Sohn.«
Sie nickte, und dann war er fort.
Und kurz darauf auch sie.
In diesem Wald aus Steinen gab es Schlangen. Zum Glück für Kalam Mekhar schien es ihnen an der natürlichen Streitsucht ihrer Art zu mangeln. Er lag im Schatten mitten zwischen den staubigen, zerschmetterten Überresten eines umgestürzten Baums und rührte sich nicht, als die Schlangen um ihn herum und über ihn hinweg glitten. Der Stein verlor die Kühle der gerade vergangenen Nacht, und von der Wüste trieb ein heißer Wind herein.
Er hatte keinerlei Anzeichen für Patrouillen gesehen und auch so gut wie keine ausgetretenen Pfade. Dennoch spürte er in diesem versteinerten Wald eine Präsenz, die auf eine Macht hindeutete, die nicht von dieser Welt war. Obwohl er sich dessen nicht ganz sicher sein konnte, glaubte er in besagter Macht etwas Dämonisches zu spüren.
Ein ausreichender Grund für Unbehagen. Sha’ik hatte vermutlich Wächter aufgestellt, an denen er irgendwie vorbeikommen musste.
Der Assassine hob eine Kobra hoch
Weitere Kostenlose Bücher