SdG 07 - Das Haus der Ketten
unwahrscheinlich, da es schnell immer dunkler wurde. Sie untersuchte kurz Perl und musterte stirnrunzelnd den von einem purpurfarbenen Ring umgebenen Fleck an seiner Schläfe. Doch sein Atem ging regelmäßig, sein Herz schlug nicht zu schnell und gleichmäßig. Sie breitete seinen Umhang aus und rollte ihn darauf, danach fesselte und knebelte sie ihn.
Als es in der Senke immer dunkler wurde, setzte Lostara sich hin und wartete.
Einige Zeit später tauchte eine Gestalt aus den Schatten auf, verharrte einen Augenblick reglos, ehe sie lautlos herantrat und direkt vor Perl stehen blieb.
Lostara hörte ein gedämpftes Grunzen. »Ihr hättet ihm beinahe den Schädel eingeschlagen.«
»Der ist härter als Ihr glaubt«, erwiderte sie.
»War das denn wirklich nötig?«
»Ich bin zu dem Schluss gekommen. Wenn Ihr kein Vertrauen in mein Urteil habt, warum habt Ihr mich dann überhaupt rekrutiert?«
Cotillion seufzte. »Er ist kein schlechter Mensch, müsst Ihr wissen. Loyal gegenüber dem Imperium. Ihr habt seine Gelassenheit bitter missbraucht.«
»Er war kurz davor, dazwischenzufunken. Auf unvorhersehbare Weise. Ich bin davon ausgegangen, dass Ihr den Weg frei haben wolltet.«
»Anfangs ja. Aber mittlerweile kann ich mir vorstellen, dass seine Anwesenheit in gewisser Weise nützlich sein könnte, sobald die Dinge sich voll … entfalten. Sollte er bis morgen Nacht noch nicht von allein aufgewacht sein, dann weckt ihn auf.«
»Also gut, wenn Ihr darauf besteht. Obwohl mir diese neue Stille und meine Einsamkeit bereits jetzt schon sehr gefallen.«
Cotillion schien sie einen Augenblick lang zu mustern. »Ich werde Euch nun verlassen, denn ich habe in dieser Nacht noch andere Aufgaben, um die ich mich kümmern muss.«
Lostara griff in ihre Gürteltasche und warf dem Gott einen kleinen Gegenstand zu.
Er fing ihn mit einer Hand auf und betrachtete ihn eingehend .
»Ich dachte, dass das Euch gehört.«
»Nein, aber ich weiß, wem es gehört. Und ich bin erfreut. Darf ich es behalten?«
Sie zuckte die Schultern. »Es bedeutet mir nichts.«
»Das sollte es auch nicht, Lostara Yil.«
Sie spürte eine trockene Erheiterung in seinen Worten und kam zu dem Schluss, dass sie einen Fehler begangen hatte, indem sie ihm den Gegenstand überlassen hatte; dass er ihr in der Tat etwas bedeutete, obwohl sie im Moment nicht wusste, in welcher Hinsicht. Sie zuckte erneut die Schultern. Ich nehme an, jetzt ist es ohnehin zu spät. »Ihr habt gesagt, Ihr wolltet gehen?«
Sie spürte noch, dass er verärgert war – dann war er in einem Wirbel aus Schatten verschwunden.
Lostara legte sich auf den steinigen Boden und schloss zufrieden die Augen.
Die nächtliche Brise war überraschend warm. Apsalar stand vor dem schmalen Fenster, das Aussicht auf die Sickergrube gewährte. Da sich weder Mogora noch Iskaral Pustl in diesen Höhen häufig blicken ließen – es sei denn, die Notwendigkeit zwang sie, auf der Suche nach Nahrung einen Ausflug zu unternehmen –, waren ihre einzigen Begleiter ein halbes Dutzend ältere Bhok’arala mit grauen Backenbärten, die schnaubten und grunzten, während sie sich steif über den verunreinigten Fußboden bewegten. Die überall herumliegenden Knochen deuteten darauf hin, dass die kleinen Kreaturen hierher, in das oberste Geschoss des Turms kamen, um zu sterben. Während die Bhok’arala hinter ihr hin und her schlurften, starrte sie hinaus in die Ödnis. Der Sand und die vorspringenden Kalksteinfelsen leuchteten silbern im Mondlicht. Rund um das Fenster landeten Rhizan mit leisen Flügelschlägen an der rauen Wand des Turms; sie hatten gefressen und machten sich jetzt daran, mit kratzenden Klauen in Spalten und Ritzen zu schlüpfen, um sich vor dem kommenden Tag zu verstecken.
Crokus schlief irgendwo weiter unten, während die hier hausenden Eheleute einander in den unbeleuchteten Korridoren und den muffigen Zimmern des Klosters auflauerten. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so allein – und, wie ihr klar wurde – in dieser Einsamkeit so wohl gefühlt. Sie hatte sich verändert. Die harten Schichten, die ihre Seele schützten, waren weicher geworden, hatten als Reaktion auf den unsichtbaren Druck von innen eine neue Form gefunden.
Doch was am merkwürdigsten war: Im Lauf der Zeit hatte sie begonnen, ihr Können zu verachten, ihre tödlichen Fähigkeiten. Sie waren ihr aufgedrängt, in ihre Knochen und Muskeln gezwungen worden. Sie hatten sie in einer blind machenden, eisigen Rüstung
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