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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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allgemein bekannt. Eine Tatsache, der man Achtung entgegengebracht hatte. Und die jüngste Tochter dieser Mutter hatte davon geträumt, dass auch sie eines Tages dieses Talent bei sich entdecken würde.
    Doch dieses Geschenk gab es nur zusammen mit der Göttin, mit dieser boshaften, entsetzlichen Kreatur, deren Seele weit verdorrter und verkümmerter war als jede Wüste. Und die Visionen, die Sha’ik heimsuchten, waren trübe und übel. Irgendwann war ihr schließlich klar geworden, dass diese Visionen nichts mit irgendeinem Talent oder Segen zu tun hatten, sondern durch Furcht heraufbeschworen wurden.
    Der Furcht einer Göttin.
    Und nun hatte sich die Mauer des Wirbelwinds aufgelöst, hatte sich von der Außenwelt zurückgezogen, um wütend durch die Adern und Venen unter Sha’iks sonnenverbrannter Haut zu rasen und wild und ohrenbetäubend durch ihren Geist zu torkeln.
    Oh, da war Macht. Vom Alter verbittert, reizbar vor Bosheit. Und was immer sie nährte, trug den sauren Geschmack von Verrat. Einem herzzerreißenden, sehr persönlichen Verrat. Etwas, das hätte geheilt werden sollen, das unter dickem, festen Narbengewebe hätte betäubt werden sollen. Boshafte Lust hatte die Wunde offen gehalten, hatte ihre eiternde Hitze genährt, bis nur noch Hass übrig geblieben war. Hass auf … irgendjemanden, ein Hass, der so alt war, dass er kein Gesicht mehr hatte.
    In Augenblicken kalter Vernunft sah Sha’ik es als das, was es war. Blanker Wahnsinn, so ausgeprägt, dass sie eines begriffen hatte: Was auch immer das Verbrechen gegen die Göttin gewesen war, was auch immer dem Verrat zugrunde gelegen hatte – eine solch brutale Reaktion war nicht gerechtfertigt. Das Verhältnis war falsch gewesen. Schon von Anfang an. Was in ihr den Verdacht nährte, dass die Neigung zum Wahnsinn schon zuvor existiert haben musste – dunkle Flecken, die die Seele beeinträchtigt hatten und sich eines Tages den Weg zum Aufsteigen freikratzen würden.
    Schritt für Schritt schreiten wir die entsetzlichsten Wege entlang. Gehen schwankend am Rand eines ungeahnten Abgrunds. Unseren Gefährten fällt nichts auf. Die Welt scheint ein normaler Ort zu sein. Schritt für Schritt, nicht anders als alle anderen – von außen betrachtet. Nicht einmal von innen betrachtet. Abgesehen von dieser Spannung, diesem Hauch von Panik. Dieser unbestimmten Verwirrung, die dein Gleichgewicht bedroht.
    Felisin, die Sha’ik war, hatte dies nun verstanden.
    Denn sie war den gleichen Weg gegangen.
    Hass, süß wie Nektar.
    Ich bin in den Abgrund gegangen.
    Ich bin genauso verrückt wie die Göttin. Und aus diesem Grund hat sie mich erwählt, denn wir sind verwandte Seelen …
    Aber was ist dann das Sims, an das ich mich immer noch so verzweifelt klammere? Warum bestehe ich hartnäckig auf der Überzeugung, dass ich mich retten kann? Dass ich zurückkehren … einmal mehr jenen Ort finden kann, an dem es keinen Wahnsinn gibt, an dem keine Verwirrung existiert.
    Den Ort … der Kindheit.
    Sie stand im Hauptraum, hinter ihr der Stuhl, der ein Thron sein sollte, die Kissen kalt, die Armlehnen trocken. Sie stand da, gefangen in der Rüstung einer Fremden. Sie konnte beinahe spüren, wie die Göttin sich ausstreckte, um sie von allen Seiten zu umschlingen – doch dies war nicht die Umarmung einer Mutter, nein, ganz und gar nicht. Diese Umarmung würde sie ersticken, würde jedes Licht auslöschen, jeden Schimmer von Ichbewusstsein.
    Ihr Ego ist mit Hass gepanzert. Sie kann nicht hineinsehen, sie kann kaum heraussehen. Ihr Gang ist ein Watscheln, verkrampft und steif, ein Lied aus rostigen Beschlägen und quietschenden Riemen. Ihre Zähne schimmern im Schatten, aber es ist das Grinsen eines aufgerissenen Schlunds.
    Felisin Paran, halte dir diesen Spiegel auf eigene Gefahr vor.
    Draußen schimmerte verstohlen das erste Licht der Morgendämmerung.
    Und Sha’ik griff nach ihrem Helm.
     
    L’oric konnte die Positionen der Hundeschlächter auf den höchsten Punkten der gepflasterten Rampen gerade so ausmachen. Im grauen Licht der Morgendämmerung war keinerlei Bewegung zu sehen. Das war merkwürdig, aber nicht überraschend. Die gerade vergangene Nacht würde selbst den härtesten Soldaten zögern lassen, den Blick zum Himmel zu heben und aus einem Versteck aufzustehen, um mit den weltlichen Tätigkeiten zu beginnen, die den Anfang eines neuen Tags kennzeichneten.
    Trotzdem – irgendetwas an diesen Gräben war merkwürdig.
    Er ging den Grat entlang auf jene

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