SdG 08 - Kinder des Schattens
Außerdem hatte er noch seine K’risnan. Sie hätten etwas tun können. Und wenn nicht – dann schneidet ihm die Finger ab. Ein Leichnam beherbergte keinen Geist mehr. Der Tod hatte die Verbindung durchtrennt. Trull konnte gegenüber dem kalten Körper unter den Eisblöcken nichts empfinden. Das war nicht mehr Rhulad, nein, ganz und gar nicht.
Doch jetzt bestand keine Möglichkeit mehr, irgendetwas heimlich zu tun. Der Streit war beobachtet worden, und im Einklang mit den Traditionen musste das dann auch bei der Lösung der Fall sein.
Und … spielt irgendetwas davon eine Rolle?
Ich habe Rhulad nicht getraut. Schon lange bevor er während seiner Wache versagt hat. Das ist die Wahrheit. Ich hatte … Zweifel.
Seine Gedanken brachten ihn nicht weiter. Qual strömte wie eine Flutwelle durch ihn hindurch, brennend wie Säure. Als hätte er seinen eigenen Dämon aufgeweckt, ungeschlacht und hungrig, und könnte nur noch zusehen, wie er an seiner Seele fraß. Nagendes Bedauern und begierige Schuld, Gewissensbisse als nie endendes Festmahl.
Wir sind jetzt dazu verdammt, wieder und wieder Antwort auf seinen Tod zu geben. Zahllose Antworten, um die einzige Frage seines Lebens damit voll zu stopfen. Ist es also unser Schicksal, unter dem Druck all dessen zu leiden, was man niemals erfahren wird?
Auch Fremde waren dabei gewesen, hatten die Szene beobachtet. Diese Erkenntnis brach plötzlich, mit schockierender Wucht über ihn herein. Ein Kaufmann und seine Freisprecherin. Besucher aus Lether. Vorab geschickte Spione der Verhandlungsdelegation.
Hannan Mosags Verhalten war in so vielerlei Hinsicht ein schrecklicher Irrtum. Trulls hohe Meinung vom Hexenkönig war beschädigt, ja, besudelt worden, und er sehnte sich zurück nach der Welt, wie sie noch vor einem Monat gewesen war. Bevor all diese Fehler und Schwächen entlarvt worden waren.
Als ich durch den Wald gestapft bin und meine Gedanken um die Dringlichkeit der schlechten Nachrichten kreisten. Einen Speer hatte er hinter sich zurückgelassen, die eiserne Spitze tief in der Brust eines Letherii vergraben. Bleierne Füße hatten ihn durch die Schatten getragen, seine Mokassins dumpfe Geräusche auf dem gesprenkelten Pfad erzeugt. Das Gefühl, gerade etwas übersehen zu haben, ein Vorzeichen nicht beachtet zu haben. Wie wenn man ein Zimmer betritt, das jemand anders gerade verlassen hatte, wenn auch in seinem Fall das Zimmer eine Waldkathedrale gewesen war, das geheiligte Land der Hiroth, und er hatte keine Anzeichen gesehen, die seinen Verdacht, dass jemand kurz vor ihm dort durchgekommen wäre, erhärtet hätten.
Und genau dieses Gefühl hatte er jetzt auch wieder. Sie hatten kummervolle Ereignisse durchlebt, und keiner von ihnen hatte auf ihre Bedeutung, auf die in ihnen verborgenen Wahrheiten geachtet. Zu überleben hatte so hohe Anforderungen an sie gestellt, dass sie gewissen Dingen gegenüber sorglos gewesen waren.
Eine kalte Woge der Gewissheit stieg in Trull Sengar auf, und so sicher, als würde ein Messer in seinem Herzen stecken, wusste er plötzlich, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Er stand allein im Langhaus.
Starrte auf den Mittelpfosten und das verbogene Schwert.
Und konnte sich nicht bewegen.
Rhulad Sengars Leichnam war gefroren. Eine blassgraue Gestalt mit steifen Gliedern, die auf der Steinplattform lag. Den Kopf zurückgeworfen, die Augen zugepresst, den Mund weit geöffnet, als würde er um einen Atemzug ringen, den er nie gefunden hatte. Die Hände des Kriegers waren um den Griff eines merkwürdigen, gefleckten Schwerts mit gerader Klinge geschlossen; sie waren mit Reif überzogen und trugen schwarze Flecke aus getrocknetem Blut.
Udinaas hatte die Nase und die Ohren mit Wachs gefüllt.
Er hielt die Zange, wartete darauf, dass die erste Goldmünze auf der eisernen Platte über den Kohlen die optimale Temperatur erreichte. Er hatte eine Münze auf die Platte gelegt, dann, zwanzig Herzschläge später, eine zweite. Die Anweisungen, wie die Münzen bei adligen, gebluteten Kriegern platziert werden mussten, waren präzise, und ebenso war genau festgelegt, wie lange das gesamte Ritual dauern durfte. Auf Udinaas wartete eine Zeitspanne voll betäubender Wiederholung und Erschöpfung.
Doch ein Sklave konnte zu jeder Aufgabe gezwungen werden. Es gab harte Wahrheiten, die nur in der Verunglimpfung des eigenen Geistes zu finden waren, falls man geneigt war, nach ihnen zu suchen. Sollte zum Beispiel ein Mann es nötig haben, sich vor
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