SdG 08 - Kinder des Schattens
Seren Pedac. »Die Edur sind von dieser Sache aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Vor allem Hannan Mosag. Wenn sie nicht rasch eine Lösung finden, werden wir bei einem gespaltenen Volk zu Gast sein.«
Ein schnelles, bitteres Lächeln. »Wir?«
»Wir Letherii, Buruk. Ich gehöre nicht zur Delegation. Genauso wenig wie Ihr, wenn man es genau nimmt.«
»Genauso wenig wie Hull Beddict«, fügte er hinzu. »Doch irgendetwas sagt mir, dass wir hoffnungslos in diesem Netz gefangen sind, egal, ob es das Licht des Tages sieht oder in die Tiefe sinkt.«
Sie sagte nichts. Denn natürlich hatte er Recht.
Der Schlitten glitt leicht über das nasse Stroh, und Udinaas hob einen Stiefel, um ihn neben der steinernen Plattform anzuhalten. Ohne ein Wort zu wechseln, begannen die drei Sklaven die Riemen zu lösen und sie unter dem Leichnam herauszuziehen. Dann wurde die Plane abgenommen. Die Eisstücke ruhten auf einer in Zeltstoff gewickelten Gestalt, deren Umrisse man unschwer erkennen konnte, und alle drei Sklaven sahen zur gleichen Zeit, dass Rhulads Mund sich im Tod geöffnet hatte, als stieße er einen stummen, nie endenden Schrei aus.
Hulad wich zurück. »Der Abtrünnige schütze uns«, zischte er.
»Das ist nichts Besonderes, Hulad«, sagte Udinaas. »Ihr beide könnt jetzt gehen, aber zieht vorher noch die Kiste hierher, die da drüben auf den Rollen steht.«
»Dann also Goldmünzen?«
»Ich nehme es an«, erwiderte Udinaas. »Rhulad ist als gebluteter Krieger gestorben. Er war von adligem Blut. Daher muss es Gold sein.«
»Was für eine Verschwendung«, sagte Hulad.
Irim, der andere Sklave, grinste und sagte: »Wenn die Edur erobert werden, sollten wir drei ein Unternehmen gründen, um die Grabhügel auszuplündern.« Er und Hulad zogen die Kiste neben den Schlitten.
Die Kohlen glühten rot, die Eisenplatte war schwarz vor Hitze.
Udinaas lächelte. »In den Hügelgräbern gibt es Schutzzauber, Irim. Und außerdem werden sie von Schattengespenstern bewacht.«
»Dann heuern wir einen Magier an, der sie unwirksam machen kann. Die Schattengespenster werden nicht mehr da sein, genau wie die verdammten Edur. Nichts als modernde Knochen. Ich träume immer wieder von diesem Tag.«
Udinaas warf dem alten Mann einen Blick zu. »Und wie schlimm bist du verschuldet, Irim?«
Das Grinsen verblasste. »Das ist es ja gerade. Ich wäre in der Lage, die Schuld abzulösen. Für meine drei Enkel, die immer noch in Trate sind. Die Schuld ablösen, Udinaas. Träumst du nicht auch davon?«
»Manche Schuld kann nicht mit Gold abgelöst werden, Irim. Meine Träume kreisen nicht um Wohlstand.«
»Nein.« Irims Grinsen kehrte zurück. »Du willst einfach nur das Herz eines Mädchens erobern, das so hoch über dir steht, dass du noch nicht einmal den Hauch einer Hoffnung haben kannst, dass dir das jemals gelingt, beim Abtrünnigen. Armer Udinaas, es ist so traurig, dass wir alle den Kopf schütteln.«
»Ihr schüttelt ihn vermutlich weniger aus Traurigkeit, sondern eher aus Mitleid«, sagte Udinaas schulterzuckend. »Das ist nah genug. Ihr könnt gehen.«
»Der Gestank hängt sogar jetzt schon in der Luft«, sagte Hulad. »Wie kannst du das nur ertragen, Udinaas?«
»Gebt Uruth Bescheid, dass ich angefangen habe.«
Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um allein zu sein, doch Trull Sengar stellte fest, dass er genau das war. Die Erkenntnis traf ihn unvermittelt, und er musste blinzeln, als er sich langsam seine Umgebung ins Bewusstsein rief. Er war im Langhaus, dem Ort seiner Geburt, und stand vor dem zentralen Balken mit der vorstehenden Schwertklinge. Die Hitze aus dem Herd schien nicht in der Lage zu sein, bis zu seinen Knochen durchzudringen. Seine Kleider waren klamm.
Er hatte die anderen draußen zurückgelassen, wo sie immer noch schweigend ihre Willenskräfte maßen. Der Hexenkönig und seine Bedürfnisse gegen Tomad und Uruth und ihr Beharren auf einen angemessenen Umgang mit einem toten gebluteten Krieger – einem Krieger, der ihr eigener Sohn war. Durch diesen Konflikt konnte Hannan Mosag seine Autorität bei den Tiste Edur verlieren.
Der Hexenkönig hätte Zurückhaltung beweisen müssen. Man hätte still und leise mit dieser Angelegenheit umgehen können, ohne dass sonst irgendjemand etwas davon mitbekommen hätte. Wie schwer kann es sein, den Händen eines toten Mannes ein Schwert zu entreißen? Und wenn Zauberei im Spiel war – und dem schien offenbar so –, dann war Hannan Mosag in seinem Element.
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