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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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hing, starrte zu ihr hoch. »Teuer?«
    »Die ganzen Gewürze, natürlich. Sag mir, Ublala, was hast du gesehen, als du am Grund des Kanals entlanggegangen bist?«
    »Schlamm.«
    »Was noch?«
    »Plunder.«
    »Was noch? Worauf bist du gelaufen?«
    »Leichen. Knochen. Krabben und Krebse. Alte Netze. Kaputte Töpfe, Möbel …«
    »Möbel?«, fragte Tehol. »Brauchbare Möbel?«
    »Also, da war ein Stuhl. Aber ich habe mich nicht draufgesetzt.«
    »Leichen«, sagte Shurq. »Ja. Viele Leichen. Wie tief war der Kanal ursprünglich?«
    Mittlerweile hatte sich auch Bagg zu ihnen gesellt, und bei dieser Frage blickte Tehol seinen Diener an. »Nun? Du musst es wissen. Schließlich bist du doch ein Ingenieur und so.«
    »Aber ich tue doch nur so, als wäre ich ein Ingenieur«, erklärte ihm Bagg.
    »Dann tu jetzt so, als wüsstest du die Antwort auf Shurqs Frage!«
    »Es hieß immer, sieben große Männer könnten übereinander auf ihren Schultern stehen, und der Letzte könnte dann mit ausgestreckten Armen an die Wasseroberfläche reichen. Große Handelsschiffe konnten den Kanal auf seiner ganzen Länge befahren.«
    »Ich war nicht weit von der Oberfläche weg«, sagte Ublala und drehte sich um, ohne auf Tehol zu achten, der aufschrie, als er mit einem dumpfen Rums auf die Seite fiel. »Ich konnte sie fast erreichen«, fügte er hinzu. Er stand jetzt aufrecht und strich sich über den Körper.
    »Das ist eine Menge Abfall«, kommentierte Bagg.
    »Ich lüge nicht«, sagte Ublala.
    »Das habe ich auch nicht gesagt.«
    »Also«, fragte Shurq, »wer bringt all diese Menschen um?«
    »Das ist nicht wichtig«, entgegnete Tehol, der sich wieder aufgerappelt hatte. »Shurq Elalle, gestattet mir, Euch Ublala Pung vorzustellen. So ein Kanalspaziergang des Nachts ist wunderbar, nicht wahr. Nein, ich meine nicht, im Kanal. An ihm entlang, um mal etwas anderes zu machen. Wirklich geradezu perfekt für einen Spaziergang …«
    »Ich habe vor, Gerun Ebericts Anwesen auszurauben«, sagte Shurq zu Ublala. »Aber es gibt außen herum Wächter, um die man sich kümmern müsste. Kannst du für ein bisschen Ablenkung sorgen, Ublala Pung?«
    Der große Mann kratzte sich am Kinn. »Ich weiß nicht. Ich habe nichts gegen sie …«
    »Sie mögen dich nicht.«
    »Tatsächlich? Warum?«
    »Es gibt keinen Grund. Sie tun es einfach nicht.«
    »Dann mag ich sie auch nicht.«
    »Das sagst du jetzt, aber ich habe noch keinen Beweis dafür gesehen.«
    »Ihr wollt einen Beweis? Gut. Lasst uns gehen.«
    Shurq hängte sich bei Ublala ein und führte ihn zum hinteren Ende des Dachs. »Wir müssen zu dem Dach da drüben springen«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass du das tun kannst, Ublala. Zumindest nicht geräuschlos.«
    »Natürlich kann ich das. Ich werde Euch zeigen, dass ich es kann.«
    »Wir werden sehen …«
    Tehol starrte ihnen hinterher und drehte sich dann zu Bagg um.
    Der Diener zuckte die Schultern. »Das ist die Komplexität des männlichen Geistes, Herr.«
     
    Der Regen, der früher an diesem Tag gefallen war, hatte die Nachtluft angenehm abgekühlt. Brys Beddict verließ den Palast durch eine Seitenpforte und begab sich auf Umwegen zum Haus seines Bruders. Obwohl es schon fast Mitternacht war, waren viele Menschen auf der Straße.
    Er hatte sich in diesem überfüllten, schmutzigen Irrgarten namens Letheras nie sonderlich wohl gefühlt. Meist verbarg sich das Antlitz des Wohlstands, so dass nur das verwüstete Gesicht der Armut zu sehen war, und das war manchmal beinah überwältigend. Noch unterhalb der Schuldner standen die Verlorenen, diejenigen, die vollkommen aufgegeben hatten, und unter ihnen fanden sich nicht nur Flüchtlinge annektierter Stämme, sondern auch Letherii – mehr als er es sich vorgestellt hatte. Trotz des explosionsartigen Wachstums, das das Königreich antrieb, schien es, als würde ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung zurückgelassen, und das war beunruhigend.
    An welchem Punkt in der Geschichte Letheras, fragte er sich, war zügellose Gier zur Tugend geworden? Der Grad der dafür notwendigen Selbstrechtfertigung war in seiner tautologischen Komplexität schwindelerregend, und es schien, als stellte die Sprache selbst den stärksten Schild gegen den gesunden Menschenverstand dar.
    Man kann diese Menschen nicht alle zurücklassen. Sie stehen außerhalb der stetigen Aufregung und Lust, der hektischen Anhäufung. Sie stehen außerhalb und können nur zusehen – mit wachsender Verzweiflung und zunehmendem

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