SdG 08 - Kinder des Schattens
Brys.
Tehol warf ihm einen Blick zu und nickte. »Das ist perfekt, Bruder. Setze genau dieses Lächeln auf, wenn du ihnen gegenüberstehst. Es wird ihre Herzen mit purem Entsetzen erfüllen.«
Brys seufzte und richtete den Blick wieder auf die Stadt. »Äußerlich scheinen wir drei so unterschiedlich zu sein.«
»Das sind wir auch«, erwiderte Tehol. »Es geht um Methoden, und wir beschreiten jeder für sich einzigartige Wege. Gleichzeitig müssen wir leider alle mit dem gleichen Vermächtnis leben, einem besonders unangenehmen Erbe.« Er zuckte die Schultern und zog seine rutschende Hose hoch. »Drei Steine in einem Strom. Alle dem gleichen dahinrauschenden Wasser ausgesetzt, und doch ist jeder – abhängig von seiner Beschaffenheit – anders geformt.«
»Und wer von uns ist aus Sandstein?«
»Hull. Er ist bei weitem am stärksten zermürbt, Brys. Du, du bist Basalt.«
»Und du, Tehol?«
»Vielleicht eine Mischung aus beidem, was zu einem auf höchst traurige Weise missgestalteten Ergebnis geführt hat. Aber ich kann damit leben.«
»Vielleicht kannst du das tatsächlich«, bemerkte Brys, »aber was ist mit uns anderen?«
»Es gibt da eine Sache, bei der du mir helfen könntest, Bruder.«
»Ach?«
»Vermutlich gibt es im Palast Chronisten, die unklare Informationen aufzeichnen. Menschen, die verschiedene Begebenheiten und Entwicklungen und all solche Dinge verfolgen.«
»Davon gibt es eine wahre Armee, Tehol.«
»Tatsächlich. Also, könntest du für mich ein paar vorsichtige Erkundigungen einholen?«
»Worüber?«
»Menschen, die in Letheras verschwinden. Die jährlichen Zahlen, irgendwas in der Richtung.«
»Wenn du möchtest. Warum?«
»Im Augenblick bin ich einfach nur neugierig.«
»Was hast du vor, Tehol?«
»Dies und das.«
Brys verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sei vorsichtig.«
»Das bin ich. Riechst du das? Bagg kocht Tee.«
»Das riecht aber nicht wie Tee.«
»Ja, stimmt, er steckt voller Überraschungen. Lass uns runtergehen. Ich für meinen Teil bin sehr durstig.«
Shurq Elalle schaute zu, wie Ublala Pung sich auf die beiden Wachen stürzte, die gerade um die Ecke der äußeren Mauer des Anwesens gekommen waren. Sie hatten noch Zeit, erschreckt aufzublicken, ehe er zuschlug. Der Hieb zermalmte dem Ersten den Kiefer und landete dann krachend an der Schläfe des Zweiten. Beide brachen zusammen. Ublala hielt kurz inne, um auf die beiden hinunterzublicken, dann machte er sich auf die Suche nach weiteren Opfern.
Shurq trat aus dem Schatten und näherte sich der Mauer. Schutzzauber waren in den ockergelben Stein geritzt, doch sie wusste, sie würden nur auf das Eindringen einer lebenden Person reagieren. Auf Körperwärme, feuchte Atemzüge, Herzklopfen. Jene, die auf Bewegung ansprachen, waren weitaus teurer und würden dem Haupthaus vorbehalten sein.
Sie erreichte die Mauer, machte kurz Halt, um sich noch ein letztes Mal umzusehen, dann kletterte sie schnell an ihr hoch.
Die Mauerkrone war mit rasiermesserscharfen, stählernen Scherben gespickt, die sich tief in die verstärkte Wattierung ihrer Handschuhe gruben. Als sie sich hochzog, bohrten sich die Scherben durch die Lederschichten und in ihre Handflächen, so dass sie noch mehr Halt fand. Sie würde die Schnittwunden später zunähen, um zu verhindern, dass Fusseln hineinkamen oder Insekten oder irgendwelche anderen Kreaturen, die vielleicht versuchen würden, sich in den Löchern häuslich niederzulassen.
Den Oberkörper auf die Arme gestützt, musterte sie den hinter der Mauer liegenden Hof. Sie konnte niemanden sehen und wuchtete sich über die Mauer, indem sie sich auf den Händen drehte und sich dann an der Innenseite hinunterließ. Sie hebelte ihre linke Hand aus den Eisenspitzen und packte die Kante, um das Gleiche dann mit der rechten zu tun. Von den Scherben befreit, kletterte sie schnell nach unten und kauerte sich in die Schatten.
Irgendwo da vorn, zwischen ihr und ihrem Ziel, befanden sich Dutzende von Wachen. Männer – aber nein, daran durfte sie nicht denken, jetzt nicht. Später, mit Ublala. Unglücklicherweise verstand der hirnlose Gast in ihrem Inneren nichts vom Wert der Vorfreude. Er kannte nur Hunger, und Hunger musste gestillt werden. Es lag in der Natur der Dinge, die lebten, dachte sie, im Unterschied zu denen, die tot waren. Drängende Bedürfnisse, Unzufriedenheit, die Last der Gelüste. Das hatte sie alles vergessen.
Vier Wächter standen am Eingang des Hauses, jeweils einer links und
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