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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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immer nur gehustet und gelacht – zumindest glaube ich, dass es Gelächter war –«
    »Es war bestimmt Gelächter, keine Frage. Er ist krank.«
    »Krank?«
    »Verrückt.«
    »Aha, ein verrückter, hustender Gott und ein muskelbepackter, kahlköpfiger Bewerber. Und drei Naechts. Ist das alles? Ist sonst niemand auf dieser Insel?«
    »Ein paar Echsenmöwen, ein paar normale Eidechsen und ein paar Felsenechsen, und dann noch Echsenratten in der Schmiede–«
    »Und wo hast du dann das Essen da drüben her?«
    Er warf einen Blick zu dem kleinen Tisch hinüber. »Der Gott stellt es zur Verfügung.«
    »Tatsächlich. Und was stellt dieser Gott sonst noch zur Verfügung?«
    Nun, dich zum Beispiel. »Was immer ihm gefällt, vermute ich.«
    »Deine Kleider.«
    »Ja.«
    »Ich will Kleider.«
    »Ja.«
    »Was meinst du mit ›ja‹? Besorge mir etwas zum Anziehen.«
    »Ich werde ihn fragen.«
    »Glaubst du etwa, es gefällt mir, hier nackt vor einem Fremden zu stehen? Sogar die Naechts sehen mich lüstern an.«
    »Ich habe dich nicht lüstern angesehen.«
    »Nicht?«
    »Nicht absichtlich. Ich habe gerade bemerkt, dass du die Handelssprache der Letherii sprichst. Genau wie ich.«
    »Du bist wohl ein ganz Schlauer, was?«
    »Ich hatte jede Menge Gelegenheit zum Üben, nehme ich an.« Er stand auf. »Mir kommt gerade der Gedanke, dass du mich meine Gebete nicht wieder aufnehmen lassen wirst. Zumindest nicht, so lange du nichts zum Anziehen bekommst. Also, lass uns zu dem Gott gehen und mit ihm reden.«
    »Du gehst zu ihm und redest mit ihm. Ich nicht. Bring mir einfach etwas zum Anziehen, Withal.«
    Er betrachtete sie. »Wird dir das helfen, dich zu … entspannen?«
    Sie schlug zu, mit der flachen Hand seitlich an den Kopf. Sie hatte ihn unvorbereitet erwischt, dachte er einen Moment später, nachdem er sich aus den Überresten der Seitenwand befreit hatte, durch die er hindurchgeflogen war. Und sich taumelnd wieder aufgerichtet hatte. Um ihn herum drehte sich alles: Die Frau, die ebenfalls nach draußen getreten war und ihn düster anstarrte, als würde sie darüber nachdenken, ihn noch einmal zu schlagen, das wogende Meer, und die drei Naechts auf einer nahe gelegenen Grasnarbe, die sich stumm und ausgelassen hin und her rollten.
    Er ging hinunter zum Meer.
    »Wo gehst du hin?«, erklang ihre Stimme hinter ihm.
    »Zu dem Gott.«
    »Das ist in der anderen Richtung.«
    Er änderte die Richtung. »Die spricht mit mir, als würde ich diese Insel nicht kennen. Sie will Kleider. Hier, nimm meine.« Er zog sich das Hemd über den Kopf.
    Und stellte fest, dass er auf dem Rücken lag und durch das ausgeblichene Gewebe des Hemds nach oben starrte; die Sonne schien hell und blendend -
    - und verdunkelte sich plötzlich. Sie sprach mit ihm. »… bleib einfach noch ein Weilchen liegen, Withal. Ich hatte nicht vor, so fest zuzuschlagen. Ich fürchte, ich habe dir den Schädel eingeschlagen.«
    Nein, nein, der ist so hart wie ein Amboss. Mir geht’s gut. Sieh doch, ich stehe auf … Oh, warum sich die Mühe machen. Es ist schön hier in der Sonne. Dieses Hemd riecht. Wie das Meer. Wie ein Strand bei Ebbe, wenn all die toten Dinge in stinkenden Pfützen vor sich hin faulen. Wie der Innenhafen. Muss die Jungs davon abhalten, da drin zu schwimmen. Ich sage ihnen immer wieder … Oh, sie sind tot. Sie sind jetzt alle tot, meine Jungs, meine Lehrlinge.
    Du solltest mir lieber bald antworten, Mael.
    »Withal?«
    »Es ist das Zelt. Das versuchen die Naechts mir zu sagen. Es hat etwas mit dem Zelt zu tun …«
    »Withal?«
    Ich glaube, ich werde jetzt schlafen.
     
    Der Pfad verlief in östlicher Richtung, zumindest am Anfang grob parallel zur Braussstraße, bog dann nach Süden auf die Straße zu ab, als der Wald zu ihrer Linken lichter wurde. Die Deserteure waren noch an einem weiteren Bauernhof vorbeigekommen, doch dort war niemand mehr gewesen. Es gab Anzeichen dafür, dass sie das Gehöft geplündert hatten, und es schien, als hätten sie einen Wagen mit hölzernen Rädern mitgenommen. Halbeck schätzte, dass die Räuber nicht weit vor ihnen waren und sie sie bei Anbruch der Dämmerung einholen würden.
    Seren Pedac ritt neben Eisenhart. In den neuen Steigbügeln war es einfach, die Füße an Ort und Stelle zu halten; noch nie zuvor hatte sie sich auf dem Rücken eines Pferdes so sicher gefühlt. Ganz offensichtlich hatten die Reiter aus Blaurose die Letherii lange Zeit hinters Licht geführt, und sie fragte sich, ob das eine grundsätzliche,

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