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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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vordem unerkannte Schwäche ihres Volkes aufzeigte. Eine gewisse Leichtgläubigkeit, die aus einer unglücklichen Mischung aus Naivität und Arroganz erwuchs. Falls Lether die Invasion der Edur überstand und die Wahrheit über die Täuschung der Blaurosen ans Licht kam, würde die Reaktion der Letherii auf charakteristische Weise kindisch sein, vermutete sie; sie würden sich irgendwie tief verletzt fühlen und ihren Groll lange hegen und pflegen. Blaurose würde auf vielfältige Weise bestraft werden – aber immer voller Gehässigkeit und stets aufs Neue.
    Die beiden Soldatinnen des Trupps hatten auf dem ersten Bauernhof ein Gerüst zerlegt, auf dem Felle zum Trocknen aufgespannt gewesen waren, und aus den langen Stangen des Gestells ein halbes Dutzend primitive Lanzen angefertigt, die anderthalb mal so lang waren wie ein Mann groß. Die zugespitzten, im Feuer gehärteten Spitzen hatten sie diagonal eingekerbt, so dass dicke Widerhaken vom Schaft abstanden. Sämtliche Lanzenspitzen waren mit dem Blut des Züchters und seiner Familie getränkt worden, um das nach Rache dürstende Vorhaben zu besiegeln.
    Sie ritten durch die Nacht, machten viermal halt, um den Pferden Ruhepausen zu gönnen, wobei es mit einer Ausnahme alle Mitglieder des Trupps schafften, einen viertel Glockenschlag zu schlafen – eine für Soldaten typische Fähigkeit, über die Seren nicht verfügte. Als der Himmel im Osten fahl wurde und man erkennen konnte, dass im Tiefland Nebel herrschte, waren ihre Augen rot unterlaufen und sie selbst träge. Am Rand der Brauss-Straße waren sie auf Flüchtlinge gestoßen, die dort gelagert hatten, und eine alte Frau, die noch wach gewesen war, hatte ihnen erzählt, dass die Räuber sie früher am Tag eingeholt und alles Wertvolle – so wie zwei junge Mädchen und ihre Mutter – mitgenommen hatten.
    Nach weiteren zweihundert Schritt konnten sie die Deserteure sehen. Der Wagen stand mitten auf der erhöhten Straße, die beiden Ochsen, die ihn normalerweise zogen, ein Stück seitlich davon unter einer dicken, knorrigen Eiche auf der anderen Seite des Grabens auf der Südseite. Ketten gingen von einem der Räder aus, an dem drei kleine Gestalten zusammengekauert schliefen. Eine große Feuerstelle schwelte noch immer, die ersterbende Glut befand sich gleich hinter dem Wagen.
    Die Männer und Frauen der Karmesingarde machten in einiger Entfernung Halt, um die Räuber zu beobachten.
    »Alles schläft«, meinte eine der beiden Frauen.
    »Diese Pferde sind nicht gut genug ausgebildet für einen geschlossenen Angriff. Wir werden in einer Vier-Eins-Vier-Formation reiten. Ihr werdet die Eine sein, Freisprecherin – haltet Euch dicht hinter den vorderen Reitern.«
    Sie nickte. Sie hatte keine Lust, Einwände zu erheben. Man hatte ihr ein überzähliges Schwert gegeben, und sie wusste natürlich, wie man damit umging. Doch wie es aussah, würde dieser Angriff mit Lanzen erfolgen.
    Die Soldaten zurrten ihre Helmriemen fest, legten dann Handschuhe an. Sie packten ihre Lanzen jetzt im hinteren Drittel. Seren zog ihr Schwert.
    »In Ordnung«, sagte Eisenhart. »Corlo, sorge dafür, dass sie alle schlafen, bis wir auf dreißig Schritt heran sind. Und dann lass sie schnell und voller Panik wach werden.«
    »In Ordnung, Bekenner. Es ist schon ziemlich lange her, was?«
    »Wollt Ihr, dass einer von ihnen am Leben bleibt?«, fragte Halbeck.
    »Nein.«
    Eisenhart bildete mit Halbeck zu seiner Linken und den beiden Frauen zu seiner Rechten die erste Linie. Vom Schritt zum Trab, dann versammelter Galopp. Noch fünfzig Schritt, und kein einziger Deserteur rührte sich. Seren warf einen Blick zurück auf Corlo; der Magier lächelte, hob eine Hand und wackelte mit den in Handschuhen steckenden Fingern.
    Sie sah, wie die drei Gefangenen beim Wagen sich aufsetzten und dann schnell unter das Gefährt krochen.
    Lanzen wurden gesenkt, die Pferde gingen in Jagdgalopp über.
    Plötzliche Bewegung bei den schlafenden Deserteuren. Sie sprangen auf, stießen bestürzte Rufe aus, dann erklang ein Schrei.
    Die vorderste Linie teilte sich, um um den Wagen herumzureiten, und Seren lenkte nach einem kurzen Moment der Unentschlossenheit ihr Pferd nach links. Sie sah weit aufgerissene Augen unter dem Wagen hervorlugen. Dann war sie neben den großen Rädern.
    Vor ihr hatten vier Lanzen ihr Ziel gefunden, drei davon hatten Männer von hinten durchbohrt, als sie sich zur Flucht gewandt hatten.
    Ein Deserteur stolperte dicht an Seren vorbei, und sie

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