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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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angegraben, um meine letzte Bestellung auszuführen, und dabei etwas gefunden.«
    »Was?«
    »Ich weiß nichts Genaues. Nur, dass sie einen Nekromanten angeheuert haben, der sich darum kümmern sollte. Und der arme Narr ist spurlos verschwunden – das heißt, ein paar Haare und ein paar Zehennägel sind noch übrig geblieben.«
    »Hmm, das ist interessant. Halte mich auf dem Laufenden.«
    »Wie immer, Herr. Und was habt Ihr Euch für heute vorgenommen?«
    »Ich dachte daran, wieder ins Bett zu gehen.«
     
    Brys hob den Blick von der peinlich genau geführten Liste und musterte den Schreiber, der ihm gegenübersaß. »Da muss ein Fehler vorliegen«, sagte er.
    »Nein, mein Herr. Unmöglich, mein Herr.«
    »Nun, wenn dies hier nur die gemeldeten Vermissten sind, was ist dann mit denen, die nicht gemeldet wurden?«
    »Zwischen dreißig und fünfzig Prozent, würde ich sagen, mein Herr. Die zu denen dazukommen, die wir haben. Aber das wären dann die Schriftrollen mit dem blauen Rand. Sie werden auf dem Vorspringenden Regal aufbewahrt.«
    »Dem was?«
    »Dem Vorspringenden Regal. Das da drüben, das von der Wand absteht.«
    »Und welche Bedeutung haben diese blauen Ränder?«
    »Postulierte Fakten, mein Herr, das, was jenseits der Statistiken existiert. Wir verwenden die Statistiken für formelle, öffentliche Feststellungen oder Bekanntmachungen, doch wir arbeiten mit den postulierten Fakten oder wenn möglich mit den messbaren Fakten.«
    »Also mit unterschiedlichen Daten?«
    »Ja, mein Herr. Das ist die einzige Möglichkeit, wie eine Verwaltung erfolgreich arbeiten kann. Jede Alternative würde zur Anarchie führen. Zu Aufständen und solchen Sachen. Wir haben natürlich postulierte Fakten für diese Hochrechnungen, und sie sind nicht schön.«
    »Aber« – Brys blickte wieder auf die Schriftrolle hinunter -»siebentausend Vermisste in Letheras im letzten Jahr?«
    »Sechstausendneunhunderteinundzwanzig, mein Herr.«
    »Und dazu kommen möglicherweise noch dreieinhalbtausend?«
    »Dreitausendvierhundertsechzigeinhalb, mein Herr.«
    »Und ist irgend jemand damit beauftragt, Untersuchungen darüber anzustellen?«
    »Dieser Auftrag ist außer Haus vergeben worden, mein Herr.«
    »Das ist dann also eindeutig eine Verschwendung von Geld –«
    »Oh nein, das Geld ist sinnvoll eingesetzt.«
    »Wie das?«
    »Es ist eine ansehnliche Summe, die wir in unseren offiziellen öffentlichen Verlautbarungen erwähnen können.«
    »Nun, mit wem wurde der Kontrakt abgeschlossen?«
    »Da seid Ihr hier im falschen Zimmer, mein Herr. Diese Information wird in der Kammer für Verträge und Königliche Urkunden aufbewahrt.«
    »Davon habe ich noch nie gehört. Wo ist denn das?«
    Der Schreiber erhob sich und ging zu einer kleinen Tür, die zwischen Schränken voller Schriftrollen eingeklemmt war. »Hier drin. Folgt mir, mein Herr.«
    Der Raum dahinter war nicht viel größer als ein begehbarer Schrank. Regalfächer erstreckten sich auf allen Seiten vom Fußboden bis zur Decke, und diese Fächer waren voller Schriftrollen mit blauen Rändern. Nachdem der Schreiber kurz in einem Fach am hinteren Ende der Kammer herumgefuhrwerkt hatte, brachte er eine Schriftrolle zum Vorschein und entrollte sie. »Da haben wir’s. Es ist ein ziemlich neuer Kontrakt. Drei Jahre alt. Fortlaufende Untersuchungen, halbjährliche Berichte, die jeweils exakt zum fälligen Zeitpunkt geliefert wurden und zu keinerlei Nachfrage Anlass geboten haben; alle wurden ohne Beanstandung angenommen.«
    »Mit wem wurde dieser Kontrakt abgeschlossen?«
    »Mit der Rattenfängergilde.«
    Brys runzelte die Stirn. »Jetzt bin ich erst recht verwirrt.«
    Der Schreiber zuckte die Schultern und rollte die Schriftrolle zusammen, um sie wieder an ihrem Platz zu verstauen. Über die Schulter sagte er: »Das braucht Ihr nicht zu sein, mein Herr. Die Gilde ist in allen möglichen Bereichen überaus kompetent –«
    »Kompetenz scheint mir in dieser Angelegenheit keine besonders wichtige Rolle zu spielen«, bemerkte Brys.
    »Da kann ich Euch nicht zustimmen. Pünktliche Berichte. Keine Nachfragen. Zwei Verlängerungen ohne Widerspruch. Ich würde sagen, sie ist in höchstem Maße kompetent, mein Herr.«
    »Und es gibt auch nicht weniger Ratten in der Stadt, wie man sofort sehen würde, wenn man auch nur einen kurzen Spaziergang durch eine der Straßen machen würde.«
    »Populationsgestaltung, mein Herr. Ich versuche mir gerade mit Schrecken auszumalen, wie die Situation ohne die Gilde

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