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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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nickte.
    »Und jetzt fühlt Ihr Euch verraten? Und zwar nicht nur als Letherii, sondern auch persönlich. Nun gut, das ist hart –«
    »Nein, was das angeht, habt Ihr Unrecht, Eisenhart. Ich fühle mich nicht verraten, und das ist das Problem. Ich verstehe ihn nur zu gut – ihn und seine Entscheidung. Ich verstehe sie.«
    »Wünscht Ihr, Ihr könntet bei ihm sein?«
    »Nein. Ich habe Rhulad – den Imperator – gesehen; ich habe gesehen, wie er wieder ins Leben zurückgekehrt ist. Wenn es Hannan Mosag gewesen wäre, der Hexenkönig …, dann wäre es gut möglich gewesen, dass ich mich auf Gedeih und Verderb mit den Tiste Edur zusammengetan hätte. Aber nicht mit dem Imperator …«
    »Er ist ins Leben zurückgekehrt? Wie meint Ihr das?«
    »Er war tot. Sehr tot. Er wurde getötet, als er ein Schwert für Hannan Mosag beschaffen sollte – ein mit einem Fluch behaftetes Schwert. Er hat es noch im Tod mit beiden Händen umklammert, so dass sie es ihm nicht mehr wegnehmen konnten.«
    »Und warum haben sie ihm nicht einfach die Hände abgehackt?«
    »Ich vermute, dass es darauf hinausgelaufen wäre, aber dann ist er zurückgekehrt.«
    »Ein schöner Trick. Ich frage mich, ob er beim nächsten Mal auch wieder so viel Glück haben wird.«
    Sie erreichten den Waldrand und erblickten die anderen, die bereits wartend auf den Pferden saßen. Als Seren die Bemerkung des Bekenners hörte, brachte sie ein Lächeln zustande. »Wenn ich den Gerüchten Glauben schenken darf, würde ich sagen, ja, er hat’s gehabt.«
    »Wurde er noch einmal getötet?«
    »Ja, Eisenhart. In Trate. Ein Soldat, der noch nicht einmal aus Lether war, ist einfach auf ihn losgegangen und hat ihm das Genick gebrochen. Hat sich nicht einmal die Zeit genommen, die Goldmünzen von seinem Körper abzukratzen …«
    »Beim Atem des Vermummten«, murmelte er, während sie auf den Rest des Trupps zuschritten. »Sagt es den anderen nicht.«
    »Warum?«
    »Weil ich ohnehin schon den Ruf habe, mir üble Feinde zu machen. Darum.«
     
    Einen Tagesmarsch von der Lichtung und ihren Statuen entfernt lebten elf Tarthenal. Der bucklige alte Arbat war schon vor langer Zeit für die Aufgabe ausgewählt worden, der er seither mürrisch nachkam: Jeden Monat machte er mit seinem zweirädrigen Karren die Runde von einer Familie zur nächsten. Auf keinem einzigen von den Bauernhöfen, auf denen die Tarthenal als Schuldner eines Landbesitzers in Dresh lebten, gab es nur Reinblutige. Mischlingskinder kamen herbeigehüpft, um den buckligen alten Arbat zu begrüßen, warfen ihm verfaulte Früchte hinterher, wenn er sich mit seiner Schaufel zur Abwassergrube aufmachte, und lachten und verspotteten ihn, wenn er glitschige Fäkalienklumpen auf seinen Karren warf.
    Bei den Tarthenal besaß alles, was in der körperlichen Welt existierte, eine symbolische Bedeutung, und die jeweiligen Bedeutungen waren wechselseitig miteinander verbunden, eingebunden in Entsprechungen, die ihrerseits Teil einer geheimen Sprache waren.
    Fäkalien waren Gold. Pisse war Bier. Die Mischlinge hatte den größten Teil des alten Wissens vergessen, doch die Tradition, die den buckligen alten Arbat auf seine Runden führte, blieb bestehen, selbst wenn der größte Teil ihrer Bedeutung verloren gegangen war.
    Wenn er seine Aufgabe erfüllt hatte, blieb ihm noch ein letzter Gang: Er musste den verdreckten Karren mit dem triefenden, von Fliegen umschwärmten Abfall in den Züchterwald ziehen, um auf einem selten benutzten Pfad schließlich zu jener Lichtung zu gelangen, wo die größtenteils vergrabenen Statuen standen.
    Kaum war er angekommen – kurz nach Sonnenuntergang –, wusste er, dass sich etwas verändert hatte. An einem Ort, an dem sich noch nie etwas verändert hatte, in seinem ganzen Leben nicht.
    Es waren Besucher dagewesen, vielleicht früher am Tag, doch das war noch das Geringste. Der bucklige alte Arbat starrte die Statuen an, sah das verbrannte Gras, den schwachen Schimmer von Hitze auf dem mitgenommenen Granit. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und entblößte dabei schwarze Zahnstummel – die alles waren, was nach vielen Jahrzehnten Letherii-Kuchen noch übrig war –, und als er nach seiner Schaufel griff, sah er, dass seine Hände zitterten.
    Er lud eine Schaufel voll, trug sie zur nächsten Statue. Warf die Fäkalien gegen den verwitterten Stein.
    »Platsch«, sagte er und nickte.
    Es zischte, und die Fäkalien wurden schwarz, Rauch stieg auf, und dann rieselte Asche zu

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