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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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unangenehme Wahrheiten zu selbstbeschwichtigenden Lügen verdreht? Litten sie unter dem gleichen Fehler – diesem Bedürfnis, die Geschichte als Antwort auf ein tief sitzendes, mangelndes Selbstvertrauen, auf eine Leere im Innersten, die von elender Unsicherheit widerhallte, neu zu schreiben? War diese ganze wilde Jagd nach dem Fortschritt nichts weiter als eine hoffnungslose Suche nach irgendeiner Art von Erfüllung? Als herrschte auf einer instinktiven Stufe ein düsteres Einverständnis – die Erkenntnis, dass das Spiel an sich keinen Wert hatte und so jeder Sieg bedeutungslos war? Um so etwas zu verstehen, musste man düster sein, denn Klarheit war hart, und die Tiste Edur mochten nichts, was hart war, und dachten daher nur selten in diese Richtung. Die bevorzugte Antwort waren niedrigere Gefühle, und komplizierte Diskussionen wurden mit Ärger und Misstrauen betrachtet.
    Sie legte eine Hand auf die Schulter der nächsten Statue und stellte erstaunt fest, dass der Stein sich warm anfühlte. Vielleicht hatte er die Sonnenwärme gespeichert. Aber nein, dafür war er zu heiß. Seren zog ihre Hand weg – einen Augenblick länger, und sie hätte sich verbrannt.
    Unbehagen stieg in ihr auf. Plötzlich fröstelnd trat sie zurück. Und sah jetzt das tote Gras, das die einzelnen Statuen umgab, verdorrt von unablässiger Hitze.
    Anscheinend waren die Götter der Tarthenal doch nicht ganz so tot.
    Manchmal ersteht die Vergangenheit aufs Neue, um Lügen zu enthüllen. Lügen, die nur durch reine Willenskraft und die allgemeine Meinung aufrechterhalten wurden. Manchmal kommt diese Enthüllung in frisches Blut getränkt daher. Selbsttäuschungen neigten dazu, sich selbst zu zerschmettern. Die Überlegenheit der Letherii. Die Arroganz der Tiste Edur. Die Unverletzlichkeit meines eigenen Fleisches.
    Ein Geräusch hinter ihr. Sie drehte sich um.
    Eisenhart stand am Rand der Lichtung. »Corlo hat gesagt, es wäre etwas … Ruheloses … in diesem Wald.«
    Sie seufzte. »Es wäre besser, wenn nur ich das wäre.«
    Er legte den Kopf schief und lächelte gequält.
    Sie trat zu ihm. »Tarthenal. Ich dachte, ich würde dieses Land kennen. Jeden Pfad, die alten Hügelgräber und die heiligen Stätten. Das ist schließlich ein Teil des Aufgabenbereichs einer Freisprecherin.«
    »Wir hoffen, uns dieses Wissen zunutze machen zu können«, sagte der Bekenner »Ich will kein Tamtam, wenn wir Letheras betreten.«
    »Einverstanden. Selbst mitten in einem Haufen Flüchtlinge würden wir auffallen. Ihr könntet darüber nachdenken, irgendwo Kleidung aufzutreiben, die nicht ganz so nach Uniform aussieht.«
    »Ich bezweifle, dass das eine große Rolle spielen würde, Schätzchen. Ob mit oder ohne Uniform würden wir als Deserteure angesehen und in die Reihen der Verteidiger gesteckt werden. Dies ist nicht unser Krieg, und wir würden lieber nichts mit ihm zu tun haben. Die Frage ist – könnt Ihr uns ungesehen nach Letheras hineinbringen?«
    »Ja.«
    »Gut. Die Jungs sind fast fertig mit den neuen Steigbügeln.«
    Sie warf einen Blick zurück zu den Statuen.
    »Das bringt Euch zum Nachdenken, nicht wahr, Schätzchen?«
    »Worüber?«
    »Darüber, dass alte Wut niemals vergeht.«
    Seren blickte ihn wieder an. »Wut. Etwas, mit dem Ihr sehr vertraut seid, nehme ich an.«
    Ein Stirnrunzeln. »Corlo redet zu viel.«
    »Wenn Ihr die Ländereien Eures Fürsten zurückbekommen wolltet, was tut Ihr dann hier? Ich habe noch nie von diesem Imperator Kellanved gehört, also muss sein Imperium weit weg von hier sein.«
    »Oh, das ist es, ganz richtig. Kommt jetzt, es ist Zeit zu gehen.«
    »Tut mir Leid«, sagte sie, als sie ihm in den Wald folgte, »ich war neugierig.«
    »Stimmt, das wart Ihr.«
    »Tja. Als Gegenleistung könnt Ihr mich etwas fragen – was immer Ihr wollt.«
    »Und Ihr werdet antworten?«
    »Vielleicht.«
    »Ihr scheint mir nicht die Art von Frau zu sein, die so endet, wie es in Trate der Fall zu sein schien. Der Kaufmann, für den Ihr gearbeitet hattet, hat sich also getötet. War er Euer Liebhaber oder sowas?«
    »Nein. Und Ihr habt Recht – ich bin nicht diese Art von Frau. Es war nicht nur wegen Buruk dem Bleichen, obwohl ich es hätte kommen sehen müssen – er hat es mir auf dem Rückweg bestimmt ein dutzendmal mehr oder weniger deutlich erklärt. Ich wollte es einfach nicht hören, nehme ich an. Der Imperator der Tiste Edur hat einen Letherii als Berater –«
    »Hull Beddict.«
    »Ja.«
    »Ihr kennt ihn?«
    Sie

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