SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
von Imperatrix Laseen
Aufgezeichnet vom Imperialen Historiker Duiker
Im Jahre 1164 von Brands Schlaf
Achtundfünfzig Tage nach der Hinrichtung von Sha’ik
L
aunische Winde hatten früher am Tag den Staub aufgewirbelt und die Haut und die Kleider all derjenigen, die Ehrlitan durch das östliche, dem Landesinnern zugewandte Stadttor betraten, in die gleiche Farbe wie die roten Sandsteinhügel gehüllt. Händler, Pilger, Viehtreiber und Reisende erschienen vor den Wachen wie heraufbeschworen. Sie tauchten einer nach dem anderen mit gesenkten Köpfen aus dem wirbelnden Staubschleier auf, schleppten sich in den Windschatten des Tores, die Augen hinter Schichten aus zusammengefaltetem, dreckigem Leinen zu Schlitzen zusammengekniffen. Rostrot bestäubte Ziegen stolperten hinter den Viehtreibern her, Pferde und Ochsen trotteten mit hängenden Köpfen und einer Schmutzkruste um Augen und Nüstern heran, und Wagen machten zischende Geräusche, wenn der Sand zwischen den verwitterten Brettern ihrer Wagenböden hindurchrieselte. Die Wachen betrachteten das Treiben und dachten dabei nur ans Ende ihrer Wache, sowie an das Bad, das Essen und die warmen Körper, die als angemessene Belohnung ihrer Pflichterfüllung auf sie warteten.
Die Frau, die zu Fuß durch das Tor ging, fiel ihnen auf, doch aus völlig falschen Gründen. In eng anliegende seidene Gewänder gekleidet, den Kopf und das Gesicht hinter einem Schal verborgen, war sie nichtsdestotrotz einen zweiten Blick wert – und wenn auch nur, um noch einmal die Eleganz ihrer Schritte und den Schwung ihrer Hüften zu bewundern. Den Rest steuerten die Wachen selbst bei, denn sie waren Männer und somit ihren Fantasien sklavisch ausgeliefert.
Die Frau bemerkte die kurzfristige Aufmerksamkeit und verstand sie gut genug, um nicht besorgt zu sein. Problematischer wäre es gewesen, wenn eine der „Wachen eine Frau gewesen wäre – oder gar beide. Dann hätten sie sich möglicherweise gewundert, dass sie die Stadt ausgerechnet durch dieses Tor betrat, dass sie zu Fuß ausgerechnet diese Straße entlanggekommen war, die sich Meilen um Meilen durch sonnenverbrannte, praktisch leblose Hügel wand und dann noch weitere Meilen parallel zu einem größtenteils unbewohnten, aus verkrüppelten Bäumen bestehenden Wald verlief. Ihre Ankunft wäre womöglich noch ungewöhnlicher erschienen, da sie keine Vorräte trug und das geschmeidige Leder ihrer Mokassins kaum abgewetzt war. Wären die Wachen Frauen gewesen, hätten sie sie angesprochen, und sie wäre mit unangenehmen Fragen konfrontiert worden, die wahrheitsgemäß zu beantworten sie nicht vorbereitet war.
Daher war es ein Glück für die Wachen, dass sie Männer waren. Und es war auch ein Glück, dass die Fantasie eines Mannes sich so leicht ködern ließ, denn die Blicke folgten ihr nun die Straße entlang, doch ohne jeglichen Verdacht, stattdessen fieberhaft damit beschäftigt, die Rundungen ihres wohlgeformten Körpers bei jedem Schwung ihrer Hüften zu erahnen, eine Bewegung, die sie nur ganz leicht übertrieb.
Als sie an eine Kreuzung kam, wandte sie sich nach links und war einen Herzschlag später aus dem Blickfeld der Wachen verschwunden. Hier in der Stadt war der Wind weniger stark, obwohl auch hier feiner Staub in der Luft schwebte und alles mit einem einfarbigen, pudrigen Überzug versah. Die Frau bewegte sich weiter durch die Menge, näherte sich in einer einwärtsgedrehten Spirale allmählich Jen’rahb, dem zentralen Teil von Ehrlitan, der riesigen, vielstöckigen Ruine, die von kaum mehr als Ungeziefer vier- und zweibeiniger Art bewohnt wurde. Als sie schließlich in Sichtweite der eingestürzten Gebäude gelangte, fand sie ganz in der Nähe ein Gasthaus, das sich bescheiden ausnahm und nichts anderes sein wollte als ein Haus, das ein paar Huren in den Räumen im zweiten Stock beherbergte und ein Dutzend Stammgäste in der Schankstube im Erdgeschoss.
Neben dem Eingang zum Gasthaus befand sich ein Bogengang, der in einen kleinen Garten führte. Die Frau trat in den Durchgang, um sich den Staub von den Kleidern zu klopfen, ging dann weiter bis zu dem flachen Becken mit schlammigem Wasser unter einem gelegentlich tröpfelnden Springbrunnen, wo sie den Schal abnahm und sich Wasser ins Gesicht spritzte, genug, um das Brennen aus den Augen zu vertreiben.
Dann ging sie durch den Durchgang zurück und trat ins Innere der Schenke.
Drinnen herrschte düsteres Zwielicht, und Rauch von offenem Feuer, Öllaternen,
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