SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
die Stadt Pur Atrii. Als das Zentrum des Sturms wieder ins Landesinnere zurückrollte, sammelte er neue Kräfte, hämmerte gegen die Nordseite des Thalasgebirges und umschlang die Städte Hatra und Y’Ghatan, ehe er sich ein letztes Mal gen Süden wandte. Ein natürlicher Sturm – vielleicht ein letztes Geschenk der alten Geister der Raraku.
Die fliehende Armee Leomans von den Dreschflegeln hatte dieses Geschenk dankbar angenommen, war tagelang in den unbarmherzigen Wind geritten. Die Tage hatten sich zu Wochen gedehnt, in denen die Welt um sie herum aus nichts weiter als einer Mauer aus schwebendem Sand bestand, was umso bitterer war, weil es die Überlebenden an etwas erinnerte – an ihren geliebten Wirbelwind, den Hammer von Sha’ik und Dryjhna der Apokalyptischen. Doch selbst in der Bitterkeit gab es Leben, gab es Rettung.
Tavores malazanische Armee folgte ihnen immer noch, nicht eilig, nicht mit der unbekümmerten Dummheit, die sie direkt nach Sha’iks Tod und der Zerschlagung der Rebellion gezeigt hatte. Jetzt war die Jagd eine sorgsam abgewogene Sache, eine taktische Verfolgung der letzten organisierten Streitmacht, die sich dem Imperium entgegenstellte. Eine Streitmacht, von der man glaubte, dass sie das Heilige Buch Dryjhnas besaß, das einzige Hoffnung spendende Artefakt für die kampfbereiten Rebellen aus dem Reich der Sieben Städte.
Leoman von den Dreschflegeln besaß das Buch zwar nicht, verfluchte es aber dennoch jeden Tag. Seine geknurrten Flüche zeugten von beinahe religiösem Eifer und einem beängstigenden Einfallsreichtum, doch der kratzende Wind riss die Worte dankenswerterweise mit sich, so dass nur Corabb Bhilan Thenu’alas, der dicht neben seinem Anführer ritt, sie hören konnte. Wenn er der Tirade müde wurde, dachte Leoman sich höchst kunstvolle Pläne aus, wie er das Buch zerstören würde, wenn er es denn einmal in die Hände bekäme. Feuer, Pferdepisse, Galle, Moranthmunition, der Bauch eines Drachen – bis Corabb irgendwann sein Pferd erschöpft zur Seite lenkte, um in der angenehmeren Gesellschaft seiner Mitrebellen zu reiten.
Die ihm dann regelmäßig mit ängstlichen Fragen zusetzten und unsichere Blicke in Leomans Richtung warfen. Was hat er gesagt?
Gebete, wurde Corabb nicht müde zu antworten. Unser Anführer betet den ganzen Tag zu Dryjhna. Leoman von den Dreschflegeln, sagte er ihnen, ist ein frommer Mann.
Genau so fromm, wie zu erwarten war. Die Rebellion brach in sich zusammen, verwehte im Wind. Städte hatten kapituliert, eine nach der anderen, als die Armeen und Schiffe des Imperiums aufgetaucht waren. Bürger wandten sich in ihrem Eifer, Verbrecher präsentieren zu können, die man für die unzähligen schrecklichen Taten während des Aufstands verantwortlich machen konnte, gegen ihre Nachbarn. Ehemalige Helden wurden den Rückeroberern genauso vorgeführt wie kleinliche Tyrannen, und die Gier nach Blut war groß. Solche grimmigen Neuigkeiten bekamen sie von den Karawanen zu hören, denen sie begegneten, während sie immer weiter flohen. Und mit jeder noch so kleinen Neuigkeit wurde Leomans Gesichtsausdruck düsterer, als wäre das alles, was er tun konnte, um die Wut in seinem Innern zurückzuhalten.
Es war die Enttäuschung, sagte Corabb zu sich selbst, und er unterstrich den Gedanken jedes Mal mit einem tiefen Seufzer. Die Menschen im Reich der Sieben Städte verzichteten so rasch auf die Freiheit, die um den Preis so vieler Leben errungen worden war, und das war nun wahrlich eine bittere Tatsache, ein höchst schäbiger Kommentar zur menschlichen Natur. War dann also alles vergebens gewesen? Wie sollte ein frommer Krieger da keine Enttäuschung verspüren, die seine Seele verbrannte? Wie viele zigtausend Menschen waren gestorben? Und wofür?
Und so sagte sich Corabb, dass er seinen Anführer verstand. Dass er verstand, dass Leoman nicht loslassen konnte – jetzt noch nicht, vielleicht niemals. Sich weiter an den Traum zu klammern verlieh allem, was zuvor geschehen war, Bedeutung.
Komplizierte Überlegungen. Es hatte Corabb viele Stunden stirnrunzelnden Nachdenkens gekostet, um auf diese Gedanken zu kommen, um den außergewöhnlichen Sprung in den Verstand eines anderen Mannes zu machen, durch seine Augen zu sehen, wenn auch nur einen Herzschlag lang, bevor er in demütiger Verwirrung zurücktaumelte. Doch dabei hatte er auch einen Blick auf das erhascht, was große Anführer – im Krieg wie in Staatsangelegenheiten – ausmachte. Die Leichtigkeit,
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