SdG 10 - Die Feuer der Rebellion
niedrigen Mauern umfriedeten, rechteckigen Innenhofs, und am Himmel darüber kreisten Geier.
Heboric Geisterhand, der neben ihm zusammengesunken im Sattel hockte, spuckte aus. »Verfall. Verwesung. Auflösung«, sagte er. »Wenn das, was einst funktioniert hat, plötzlich zerbricht. Und wie eine Motte flattert die Seele davon. Ins Dunkel. Der Herbst steht bevor, und die Jahreszeiten sind schief, sie winden sich, um all den blankgezogenen Messern zu entgehen. Doch die Gefangenen der Jade sitzen für immer in der Falle. Sind in ihren eigenen Auseinandersetzungen gefangen. Streitereien und Gezänk, während das Universum draußen unsichtbar bleibt. Sie scheren sich keinen Deut darum, diese Narren. Sie tragen ihre Unwissenheit wie eine Rüstung und schwingen Gehässigkeit wie ein Schwert. Was bin ich für sie? Ein Kuriosum. Weniger noch. Also ist es eine zerbrochene Welt, warum sollte ich mir darum Gedanken machen? Ich habe das hier nicht gewollt, nichts davon …«
Er brabbelte weiter, aber Schlitzer hörte ihm nicht mehr zu. Er warf einen Blick zurück auf die beiden Frauen, die ihnen folgten. Teilnahmslos, achtlos, verroht von der Hitze. Die Pferde unter ihnen trotteten mit gesenkten Köpfen dahin; unter ihrem staubigen, struppigen Fell waren die Rippen deutlich zu erkennen. Ein Stück neben ihnen turnte Graufrosch herum; er sah fett und geschmeidig wie immer aus und umkreiste die Reiter mit anscheinend unerschöpflicher Energie.
»Wir sollten dem Kloster einen Besuch abstatten«, sagte Schlitzer. »Sollten seinen Brunnen benutzen, und wenn es irgendetwas zu essen gibt –«
»Sie sind alle tot«, krächzte Heboric.
Schlitzer musterte den alten Mann, gab dann ein Brummen von sich. »Das erklärt die Geier. Aber wir brauchen trotzdem Wasser.«
Treachs Destriant schenkte ihm ein unwirsches Lächeln.
Schlitzer verstand, was dieses Lächeln bedeutete. Er wurde allmählich herzlos, abgehärtet gegen die unzähligen schrecklichen Dinge auf der Welt. Ein Kloster voller toter Priester und Priesterinnen war wie … nichts. Und der alte Mann konnte es sehen, konnte in ihn hineinsehen. Sein neuer Gott ist der Tiger des Sommers, der Herr des Krieges. Heboric Geisterhand, der Hohepriester des Streits … Er erkennt, wie kalt ich geworden bin. Und ist … erheitert.
Schlitzer lenkte sein Pferd auf den seitlich abzweigenden Pfad, der zum Kloster führte. Die anderen folgten ihm. Vor dem geschlossenen Tor zügelte der Daru sein Reittier und stieg ab. »Heboric, spürst du irgendetwas, das uns gefährlich werden könnte?«
»Verfüge ich denn über diese Art von Begabung?«
Schlitzer sah ihn an, sagte aber nichts.
Der Destriant kletterte von seinem Pferd. »Da drin ist nichts Lebendiges. Gar nichts.«
»Keine Geister?«
»Nichts. Sie hat sie mitgenommen.«
»Wer?«
»Die unerwartete Besucherin …« Er lachte und warf die Arme in die Luft. »Wir spielen unsere Spiele. Wir rechnen nie damit, dass es zu … einem Zwischenfall kommt. Einem Frevel. Ich hätte es ihnen sagen können. Hätte sie warnen können, aber sie hätten nicht auf mich gehört. Der Dünkel verschlingt alles. Ein einzelnes Gebäude kann zu einer ganzen Welt werden, in der die Geister sich drängen und drängeln, dann aneinanderzerren und drücken. Sie müssten einfach nur nach draußen gehen, aber sie tun es nicht. Sie haben vergessen, dass es ein Draußen gibt. Oh, all diese Gesichter der Anbetung, von denen keines echte Anbetung ist. Mach dir nichts aus dem Eifer, er dient lediglich dem dämonischen Hass im Innern. Den Boshaftigkeiten und Ängsten und Tücken. Ich hätte es ihnen sagen können.«
Schlitzer führte sein Pferd am Zügel an die Mauer. Er kletterte auf den Rücken des Tiers, kauerte sich geduckt in den Sattel und richtete sich dann auf, bis er stand. Jetzt konnte er die Mauerkrone leicht erreichen. Er zog sich hoch. Auf der anderen Seite lagen Leichen auf dem festgestampften, weißen Boden. Ein Dutzend oder so, schwarzhäutig und größtenteils nackt überall im Innenhof verteilt. Schlitzer blinzelte. Die Leichen sahen aus, als würden sie … wallen, schäumen, zerfließen. Sie wogten vor seinen Augen. Er zwang sich, den Blick von ihnen abzuwenden. Die Türen des überkuppelten Tempels standen weit offen. Rechts stand ein niedriger Zaun, der ein langgestrecktes, flaches Gebäude umgab; zwei Drittel der sichtbaren Mauer waren noch unverputzt, die Lehmziegel deutlich zu erkennen. Wannen mit Gips und Werkzeuge wiesen darauf hin, dass hier
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