SdG 12 - Der Goldene Herrscher
erkennen zu lassen, dass er mit einem im Grunde sorglosen Leben gesegnet war. Er besaß eine Frau, die so viel Angst hatte, dass sie alles tat, was er ihr auftrug. Seine drei Kinder empfanden ihm gegenüber die gebührende Mischung aus Entsetzen und Respekt, und er hatte gesehen, wie sich bei seinem ältesten Sohn ähnliche Charakterzüge von Überlegenheit und Gewissheit entwickelten. Seine Position als Leutnant der Palastzelle der Patriotisten führte, soweit es ihn betraf, keineswegs zu einem Konflikt mit seiner offiziellen Stellung als Sergeant der Palastgarde - der Schutz der Mächtigen verlangte schließlich sowohl offene wie auch heimliche Sorgfalt.
Die Gefühle, die ihn beherrschten, waren gleichermaßen schlicht wie geradlinig. Er fürchtete das, was er nicht verstehen konnte, und er verachtete, was er fürchtete. Aber zuzugeben, dass er sich fürchtete, machte ihn nicht zum Feigling - denn er hatte im Stillen all dem, was ihn bedrohte, auf ewig den Krieg erklärt, sei es eine unaufrichtige Frau, die Mauern um ihre Seele errichtet hatte, oder seien es Verschwörer gegen das Imperium von Lether. Die wahren Feiglinge waren seine Feinde, das begriff er nur zu gut. Sie dachten in Wolken, die all die harten Wahrheiten der Welt verbargen. Ihre Bemühungen, »zu verstehen«, führten unausweichlich zu einer aufrührerischen Haltung gegenüber jeglicher Autorität. Und während sie den Feinden des Imperiums vergaben, verachteten sie die Schwächen ihres eigenen Heimatlandes - ohne zu erkennen, dass sie selbst diese Schwächen verkörperten.
Ein Imperium wie Lether befand sich immer im Belagerungszustand. Dies war die erste Feststellung von Karos Invictad während der Rekrutierung und Ausbildung gewesen, und Sirryn Kanar hatte die Wahrheit, die in diesen Worten lag, verstanden, ohne auch nur einen Augenblick nachdenken zu müssen. Eine Belagerung, innen und außen, ja - genau die Vorrechte, die das Imperium gewährte, wurden von denjenigen ausgenutzt, die das Imperium vernichtet sehen wollten. Und es konnte keinen Raum dafür geben, solche Leute »zu verstehen« - sie waren böse, und das Böse musste ausgelöscht werden.
Die Vision Karos Invictads hatte ihn mit der Wucht einer Offenbarung gepackt, hatte solch eine perfekte Klarheit und - in der Tat - Frieden in dem freigesetzt, was von Zeit zu Zeit eine Seele in Aufruhr gewesen war - gelegentlich übel zugerichtet und bestürmt von einer Welt, die vor lauter Verwirrung und Verunsicherung nur verschwommen wahrnehmbar gewesen war -, dass all das, was in ihm getobt hatte, sich legte, als Gewissheit sich ausbreitete, dieses leuchtende, blendende, wunderbare Geschenk der Entlastung.
Er lebte jetzt ein unbeschwertes Leben und gab seinen Mitagenten im Palast dadurch ein Beispiel. In ihren Augen hatte er wieder und wieder Ehrfurcht und Angst aufschimmern sehen - oder, und das war ebenso befriedigend, sie waren ein vollkommenes Spiegelbild seiner eigenen Augen: ausdruckslos, unbarmherzig, genauso unempfindlich für jede Täuschung, die der Feind versuchen mochte, wie er selbst.
Und so winkte er den beiden stämmigen Patriotisten unbeschwert zu, die daraufhin herankamen und die Tür eintraten. Sie flog förmlich aus ihren schwachen Angeln, krachte in das üppig ausgestattete Zimmer dahinter. Ein Schrei, dann noch einer, aus der Düsternis zur Linken - wo die Dienerinnen schliefen -, aber die vordersten Agenten hatten den Flaum bereits durchquert und standen vor der gegenüberliegenden Tür. Noch mehr Gewalt. Holz splitterte unter schweren Stiefeln.
In dem Gang hinter Sirryn lag der Leichnam eines Tiste Edur auf dem Boden - jemand hatte einen Wächter hier aufgestellt. Merkwürdig, aber ohne große Folgen. Vergiftete Armbrustbolzen hatten sich als schnell und nahezu lautlos erwiesen. Zwei seiner Männer trafen bereits Vorbereitungen, den Leichnam wegzuschaffen - einfach nur ein weiterer Edur, der auf geheimnisvolle Weise verschwand.
Sirryn Kanar stellte sich mitten ins erste Zimmer, als ein weiterer Agent mit einer abgedunkelten Laterne eintraf, der sich an die Seite stellte, so dass gerade genug Licht im Raum vorhanden war. Zu viel wäre nicht gut - die Schatten mussten lebendig sein, sich winden, überall musste Verwirrung herrschen. Sirryn ergötzte sich an Genauigkeiten.
Seine Männer tauchten aus dem hinteren Raum auf, zwischen ihnen eine Gestalt - halbnackt, mit wirren Haaren, einem ungläubigen Ausdruck. Nein. Sirryn Kanars Augen verengten sich. Kein Unglaube.
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