SdG 12 - Der Goldene Herrscher
einem Tisch in der Mitte beleuchtet wurde. Die kühle, feuchte Luft stank nach altet Angst und menschlichen Exkrementen. Zitternd von dem nächtlichen Marsch durch die Straßen blieb sie einen Augenblick reglos stehen, versuchte, die gazedünnen Reste ihres Gewandes enger um sich zu schlingen.
Zwei junge, unschuldige Frauen waren tot. Abgeschlachtet wie Verbrecher. Und Tissin ist die nächste - sie, die immer so etwas wie eine Mutter für mich war. Sie hat nichts getan - halt, hör auf damit. Niemand von uns hat etwas getan. Aber das spielt keine Rolle - etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann nicht so tun, als ob irgendwas von dem, was ich sage, etwas ändern wird, mein Schicksal verändern wird. Nein, dies ist das Todesurteil. Für mich. Für Tissin.
Der Imperator würde nichts von alledem erfahren, dessen war sie sich sicher. Triban Gnol würde ihm mitteilen, dass sie aus dem Palast verschwunden war. Dass sie geflohen war - noch ein Verrat mehr - und Rhulad würde auf seinem Thron zurückzucken, würde in sich zusammensinken, während der Kanzler ebenso sorgfältig wie unbarmherzig die Unsicherheit des Imperators nähren und dann einen Schritt zurücktreten würde, um zu beobachten, wie seine vergifteten Worte das Leben aus Rhulads gequälten Augen stahlen.
Dagegen können wir nicht gewinnen. Sie sind zu schlau, zu skrupellos. Ihr einziger Wunsch ist, Rhulad zu vernichten - seinen Verstand zu vernichten - so dass er nur noch plappernd dahockt, bedrängt von unsichtbarem Entsetzen, unfähig, irgendetwas zu tun, nicht willens, irgendjemanden zu sehen. Irgend-jemanden, der ihm helfen könnte.
Möge der Abtrünnige ihn retten …
Die Tür wurde aufgerissen, so dass sie hart gegen die Wand prallte, wo alte Risse zeigten, dass diese gewalttätige Ankündigung ein Teil des gängigen Musters war. Sie hatte die Risse bereits zuvor bemerkt, und deshalb zuckte sie bei dem lauten Geräusch auch nicht zusammen, sondern drehte sich nur um, so dass sie ihren Peiniger ansehen konnte.
Der kein geringerer als Karos Invictad höchstpersönlich war. Ein Wirbel aus karmesinroten Seidengewändern, Onyxringen an den Fingern, in einer Hand das Zepter, das seine Stellung symbolisierte, so gegen die Schulter gelehnt, dass es neben dem rechten Schlüsselbein ruhte. Auf seinem Allerweltsgesicht lag einen Ausdruck leichten Missfallens. »Teuerste Frau«, sagte er mit seiner hohen Stimme, »bringen wir das hier schnell hinter uns, so dass ich barmherzig sein kann. Ich verspüre nicht den Wunsch, dir Schaden zuzufügen, lieblich, wie du bist. Dementsprechend führt eine Unterschrift unter einer kurzen Darstellung deines Verrats am Imperium zu einer schnellen, nichtöffentlichen Hinrichtung. Deine Dienerin hat sich bereits gefugt und ist barmherzig enthauptet worden.«
Oh, gut gemacht, Tissin. Doch sie selbst hatte Mühe, suchte nach dem gleichen Mut - die Dinge so hinzunehmen, wie sie waren, zu erkennen, dass es keine andere Zuflucht gab. »Und eine Enthauptung ist kein Schaden?«
Ein leeres Lächeln. »Der Schaden, von dem ich gesprochen habe, hat sich natürlich darauf bezogen, dir dein Geständnis zu entreißen. Ein Rat: Entspanne deine Gesichtszüge in den letzten Augenblicken, ehe die Klinge herunterkommt. Es ist eine unglückliche Tatsache, dass der Kopf noch ein paar Augenblicke weiterlebt, nachdem er vom Hals getrennt wurde. Ein paar Blinzler, ein, zwei Mal die Augen rollen, und wenn man nicht… aufpasst, ein Haufen unerfreulicher Gesichtsausdrücke. Leider war deine Dienerin nicht willens, diesen Rat zu befolgen, da sie zu sehr mit einer Tirade sinnloser Flüche beschäftigt war.«
»Ich bete darum, dass der Abtrünnige sie gehört hat«, sagte Nisall. Das Herz hämmerte heftig in ihrer Brust.
»Oh, sie hat mich nicht im Namen des Abtrünnigen verflucht, süße Hure. Nein, stattdessen hat sie einen Glauben offenbart, den man schon lange für ausgestorben gehalten hat. Hast du gewusst, dass ihre Vorfahren Triller waren? Bei den Festen, ich kann mich noch nicht einmal mehr an den Namen des Gottes erinnern, den sie ausgestoßen hat.« Er zuckte die Schultern und lächelte erneut sein leeres Lächeln. »Es spielt auch keine Rolle. Ja, tatsächlich, selbst wenn sie den Abtrünnigen angerufen hätte, gäbe es für mich keinen Grund zur Panik. Im Palast verhätschelt, wie du bist - oder genauer, warst -, weißt du vermutlich nicht, dass die Handvoll Tempel in der Stadt, die, wie man sagt, dem Abtrünnigen geweiht
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