SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Rotmaske. Am besten, du legst sie ab.«
Rotmaske drehte sich langsam zu dem Mann um. »Du weißt nichts von mir, Ältester.«
Ein verzerrtes Lächeln. »Leider tue ich das sehr wohl. Du erkennst mich nicht, Rotmaske. Aber das solltest du.«
»Du bist ein Renfayar - gehörst zu meinem Stamm. Du bist vom gleichen Blut wie Masarch.«
»Ja, aber nicht nur das. Ich bin alt. Verstehst du? Ich bin der Älteste unseres Volkes, der Letzte, der noch übrig ist … der dabei war und sich erinnert. An alles.« Das Lächeln wurde breiter, offenbarte verfaulte Zähne und eine spitze rote, fast schon purpurne Zunge. »Ich kenne dein Geheimnis, Rotmaske. Ich weiß, was sie dir bedeutet hat, und ich weiß auch, warum.« Seine schwarzen, rot umrandeten Augen funkelten. »Du solltest mich fürchten, Rotmaske. Du solltest meine Worte - meine Ratschläge - beherzigen. Ich werde an deiner Seite reiten, ja? Von diesem Augenblick an bis zum Tag der Schlacht. Und ich werde mit der Stimme der Ahl sprechen, meine Stimme wird die Stimme ihrer Seelen sein. Und wisse dies, Rotmaske: Ich werde nicht zulassen, dass sie verraten werden. Weder von dir noch von diesem einäugigen Fremden und seinen blutrünstigen Wölfen.«
Rotmaske musterte den alten Mann ein paar Herzschläge lang und richtete den Blick dann wieder nach vorn.
Ein leises, abgehacktes Lachen ertönte neben ihm. »Du wagst es nicht, etwas zu sagen. Du wagst es nicht, etwas zu tun. Ich bin ein Dolch, der über deinem Herzen schwebt. Fürchte mich nicht - dazu besteht keine Notwendigkeit, solange du nichts Böses im Schilde führst. Ich wünsche dir großen Ruhm in diesem Krieg. Ich wünsche mir das Ende der Letherii, für alle Zeit. Vielleicht wird solch ein Ruhm durch deine Hand kommen - du und ich, lass uns gemeinsam danach trachten, ja?«
Ein langer Augenblick der Stille folgte.
»Sprich, Rotmaske«, knurrte der Älteste. »Sonst fange ich an zu glauben, dass du mich herausfordern willst.«
»Den Letherii ein Ende bereiten, ja«, sagte Rotmaske schließlich mit knirschender Stimme. »Sieg für die Ahl.«
»Gut«, knurrte der alte Mann. »Gut.«
Die magische Welt hatte abrupt geendet, mit der Plötzlichkeit eines zugeschlagenen Deckels - ein Geräusch, das sie immer erschreckt hatte, sie hatte erstarren lassen. In der Stadt, an jenem Ort voller Gerüche und Geräusche, hatte es einen Hausverwalter gegeben, einen Tyrannen, der Sklavenkinder zu schikanieren pflegte, die ihn, seinen eigenen Worten zufolge, enttäuscht hatten. Eine Nacht in der muffigen Enge der Bronze-Kiste wütde sie das eine oder andere lehren, nicht wahr?
Stayandi hatte eine solche Nacht verbracht, eingeschlossen in dunkler Enge, etwa zwei Monate bevor die Sklaven zu den Kolonisten draußen auf der Ebene geschickt worden waren. Das schwere Einschnappen des Deckels hatte damals wirklich wie das Ende der Welt gewirkt. Ihre Schreie hatten den engen Innenraum der Kiste erfüllt, bis etwas in ihrer Kehle zerbrochen war und jeder neue Schrei nur noch als Zischen kam.
Seit damals war sie stumm, doch das hatte sich als Geschenk erwiesen, denn sie war auserwählt worden, als noch lernende Kammerzofe die Domäne der Herrin zu betreten. Schließlich würden ihr keinerlei Geheimnisse über die Lippen kommen. Und sie wäre noch immer dort, wäre nicht die Sache mit der neuen Siedlung gewesen.
Eine magische Welt. So viel Platz, so viel Luft. Die Freiheit eines blauen Himmels, ein unablässiger Wind und eine Dunkelheit, die von zahllosen Sternen erhellt wurde - sie hätte sich nie vorstellen können, dass es eine solche Welt gab, noch dazu in ihrer Reichweite.
Und dann hatte es aufgehört. In einer einzigen Nacht. Ein grimmiger Alptraum, der in den Schreien der Sterbenden Wirklichkeit geworden war.
Abasard …
Sie war in die Dunkelheit geflohen, betäubt von dem Wissen um seinen Tod - ihr Bruder, der sich dem Dämon in den Weg geworfen hatte, der an ihrer Stelle gestorben war. Ihre bloßen, federleichten Füße trugen sie davon, und bald schon war das Zischen der Gräser das einzige Geräusch, das an ihre Ohren drang. Sterne glitzerten, tauchten die Ebene in silbernes Licht, und der Wind kühlte den Schweiß auf ihrer Haut.
In ihren Gedanken trugen ihre Füße sie quer über einen ganzen Kontinent. Weg von der Sphäre der Menschen, der Sklaven und Herren, der Herden und Soldaten und Dämonen. Sie war jetzt allein, wurde Zeuge einer Abfolge von Dämmerungen, vernebelten Sonnenuntergängen, allein auf einer
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