SdG 12 - Der Goldene Herrscher
Ebene, die sich ungebrochen in alle Richtungen erstreckte. Sie sah wilde Kreaturen, immer aus der Ferne. Hasen, die hierhin und dorthin schossen, Antilopen, die sie von Hügelkuppen aus beobachteten, Falken, die am Himmel kreisten. Nachts hörte sie das Geheul von Wölfen und Kojoten und einmal das heisere Gebrüll eines Bären.
Sie aß nichts, und schon bald verschwanden die Schmerzen, die der Hunger ihr anfangs bereitete, so dass sie dahinschwebte, und alles, was ihr vor die Augen kam, leuchtete strahlend hell und klar. Sie leckte Wasser von taufeuchten Grashalmen, trank aus den vollgelaufenen Spuren von Hirschen und Elchen in den Senken, und einmal fand sie eine Quelle - fast verborgen von dichtem Gebüsch, in dem Hunderte winziger Vögel herumflatterten. Ihr Gezwitscher war es gewesen, das ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.
Nachdem sie eine Ewigkeit lang weitergerannt war, war sie gestürzt. Und fand keine Kraft mehr, um noch einmal aufzustehen, um die wundersame Reise durch dieses glühende Land noch einmal aufzunehmen.
Dann stahl sich die Nacht heran, und nicht lange danach kam das vierbeinige Volk. Die Neuankömmlinge trugen Felle, die nach Wind und Staub rochen, und sie versammelten sich eng beieinander, als sie sich hinlegten, die Wärme ihrer dicken weichen Umhänge teilten. Es gab auch Kinder bei ihnen, winzige Säuglinge, die krabbelten wie ihre Eltern, um sie herumwuselten und sich an sie kuschelten.
Und wenn sie Milch tranken, machte Stayandi das Gleiche.
Die Angehörigen des vierbeinigen Volks waren genauso stumm wie sie - bis sie in der tiefsten Nacht mit ihren traurigen Schreien begannen; sie schrien - wie sie wusste -, um die Sonne herbeizubeschwören.
Sie blieben bei ihr, Wächter mit ihren Geschenken von Wärme und Nahrung. Nach der Milch gab es Fleisch. Zermalmte, verstümmelte Kadaver - Mäuse, Spitzhörnchen, eine kopflose Schlange - sie aß alles, was sie ihr gaben, zermalmte winzige Knochen ebenso in ihrem Mund wie feuchtes Fell und zähe Haut.
Auch dies schien zeitlos zu sein, schien ewig Bestand zu haben. Die Erwachsenen kamen und gingen. Die Kinder wurden stämmiger, und sie krabbelte jetzt mit ihnen, wenn es Zeit zum Weiterziehen war.
Als der Bär auftauchte und auf sie zustürmte, fürchtete sie sich nicht. Er wollte die Kinder, das war offensichtlich, aber die Erwachsenen griffen ihn an und verjagten ihn. Ihre Leute waren stark und furchtlos. Sie herrschten über diese Welt.
Bis sie eines Morgens aufwachte und feststellte, dass sie allein war. Sie zwang sich auf die Hinterbeine, während hilfloses Wimmern in schmerzlichen Wogen aus ihrer Kehle drang, und schaute sich um …
Und sah den Riesen. Nackt von der Hüfte an aufwärts, die von der Sonne gebräunte Haut fast vollständig unter weißer Farbe verborgen - Farbe, die seine Brust, seine Schultern und sein Gesicht in Knochen verwandelte. Als er näherkam, wirkten seine Augen wie schwarze Höhlen im farbverkrusteten, maskenhaften Schädel. Er trug Waffen, einen langen Speer und ein Schwert mit breiter, gekrümmter Klinge. Der Pelz des vierbeinigen Volks war um seine Hüften geschlungen, und die kleinen, aber tödlichen Messer, die in einem Halsband des Kriegers steckten, gehörten ebenfalls ihrem Volk.
Ängstlich, wütend, bleckte sie dem Fremden gegenüber die Zähne, auch noch, als sie sich in die Furche eines kleinen Hügels kauerte - sie konnte nirgendwo hinrennen, denn sie wusste, er würde sie mit Leichtigkeit erwischen. Und sie wusste auch, dass gerade eine weitere ihrer Welten zerschmettert worden war. Angst war ihre Bronze-Kiste, und sie war gefangen, unfähig, sich zu bewegen.
Er musterte sie einige Zeit, legte den Kopf schief, während sie immer noch schnappte und knurrte. Dann kauerte er sich langsam hin, bis seine Augen auf gleicher Höhe mit ihren waren.
Und sie wurde still.
Erinnerte sich an … Dinge.
Es waren keine freundlichen Augen, aber sie waren - das wusste sie plötzlich - wie ihre eigenen. Wie auch sein haarloses Gesicht unter der totenähnlichen Farbe.
Sie war weggelaufen, erinnerte sie sich jetzt, bis es schien, als hätte ihr fliehender Geist ihr Fleisch und ihre Knochen hinter sich gelassen, wäre in etwas Unbekanntes und Unerkennbares davongeschossen.
Und dieses wilde Gesicht ihr gegenüber brachte langsam ihren Geist zurück. Und jetzt verstand sie, wer das vierbeinige Volk war, was es war. Sie erinnerte sich daran, wie es war, aufrecht zu stehen, mit zwei Beinen statt mit vier zu rennen.
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