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SdG 12 - Der Goldene Herrscher

SdG 12 - Der Goldene Herrscher

Titel: SdG 12 - Der Goldene Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Feinsinn abgehen - ein überaus bitteres Eingeständnis.
    Natürlich sah das alles ganz anders aus, wenn jemand anderes diese Heimsuchungen schickte.
    Mittlerweile waren Gestalten auf den steinigen Hängen unterhalb des Tempels aufgetaucht. Erst Dutzende, dann Hunderte.
    Groß und mit einer Haut so blass wie Schildkröteneier, mit rotgeränderten Augen, die tief in länglichen, scharf geschnittenen Gesichtern lagen, und zu vielen Gelenken an ihren langen Gliedmaßen - was alles zusammen ihre starren Totengesichter in etwas Surreales, Fiebriges verwandelte. Aber Detzteres war keine Überraschung.
    Und jetzt… eine verschwommene Bewegung in der Dunkelheit unter dem Sturzstein. Eine Gestalt kam stolpernd heraus. Sie war nicht wie die Toten. Nein, sie sah aus … wie ein Mensch.
    Von Kopf bis Fuß blutbespritzt taumelte der Mann vorwärts, blieb am oberen Ende der Stufen stehen und schaute sich mit wilden, wütenden Blicken um. Und dann warf er den Kopf in den Nacken und brüllte den farblosen Himmel an.
    Keine Worte. Nur wilde Wut.
    Udinaas schauderte zurück, versuchte wegzukriechen.
    Doch der Mann sah ihn. Eine rote, tropfende Hand hob sich, streckte sich nach ihm aus. Winkte.
    Als wäre er an der Kehle gepackt worden, schlingerte Udinaas näher an den Mann heran, an den Tempel, an die Geröllhalde aus kalten Leichnamen. »Nein«, murmelte er, »nicht mich. Such dir jemand anderen. Nicht mich.«
    »Kannst du diesen Kummer spüren, Sterblicher?«
    »Er gilt nicht mir!«
    »Doch, das tut er. Du bist der Einzige, der noch übrig ist. Sollen ihre Tode hohl sein, vergessen und ohne Bedeutung?«
    Udinaas versuchte, sich am Boden festzuhalten, aber die Steine rutschten unter seinen Händen weg, und dort, wo seine Fingernägel Furchen hinterließen, kam sandiger Erdboden zum Vorschein. »Such dir einen anderen!« Als hätte er seinen Schrei dem Tempel direkt entgegengeschleudert, wogte er durch den weit offen stehenden Eingang ins Innere des Gebäudes und hallte dort drinnen wider - gefangen, geraubt, immer wieder zurückgeworfen, bis es nicht mehr seine Stimme war, sondern die des Tempels selbst - ein trauriger Schrei, der vom Sterben kündete, von verzweifeltem Trotz. Der Tempel äußerte seinen Hunger.
    Irgendetwas erschütterte den Himmel. Lichtlose Blitze, geräuschloser Donner - jemand war gekommen, und diese Ankunft erschütterte die Welt.
    Der ganze Tempel neigte sich zur Seite; Staubwolken quollen aus mörtellosen Fugen. Das Gebäude stand kurz davor, zusammenzubrechen -
    »Nein!«, brüllte der Mann am oberen Ende der Treppe, während er stolpernd versuchte, das Gleichgewicht zu halten. »Der hier gehört mir! Das ist mein Törrud Segul! Schau dir diese Toten an - sie müssen gerettet werden, müssen übergeben werden, sie müssen …«
    Doch jetzt ertönte eine andere Stimme hinter Udinaas, von hoch oben und von fern - die Stimme des Himmels selbst. »Nein, Abtrünniger. Diese Toten sind Forkrul Assail. Die du selbst getötet hast. Du kannst sie nicht töten, um sie zu retten …«
    »Du schreckliche Hexe, du hast nicht die geringste Ahnung! Sie sind die Einzigen, die ich retten kann!«
    »Der Fluch der Älteren Götter - sieh dir das Blut an deinen Händen an. Das hast du alles selbst getan. Alles.«
    Ein großer Schatten glitt über Udinaas hinweg. Schwenkte herum.
    Windböen kamen auf, wirbelten verfilzte schwarze Haare von Leichnamen auf, zerrten an den zerfetzten Überresten ihrer Kleidung; dann ein plötzlicher Druck, als würde sich ein gewaltiges Gewicht herabsenken, und der Drache war da - zwischen Udinaas und dem Abtrünnigen -, reckte seine langen Hinterbeine nach unten, durchbohrte mit seinen Klauen kalte Leichname und zermalmte sie geräuschvoll, als er sich schließlich auf dem Hang niederließ. Der geschmeidige Hals drehte sich herum, der große Kopf glitt dichter an Udinaas heran und betrachtete ihn mit Augen aus weißem Feuer.
    Eine Stimme hallte durch seinen Schädel. »Weißt du, wer ich bin?«
    Silberne Flammen spielten über goldene Schuppen, und die Erscheinung verströmte weißglühende Hitze - die Leichen der Forkrul Assail unter ihr wurden schwarz, ihre Haut kräuselte sich, schrumpfte. Fett schmolz, platzte aus sich bildenden Blasen und nässte aus den Gelenken.
    Udinaas nickte. »Menandore. Schwester Dämmer. Die Vergewaltigerin.«
    Ein herzhaftes, perlendes Lachen. Der Kopf drehte sich weg, wandte sich dem Abtrünnigen zu. »Der hier gehört mir«, sagte sie. »Ich habe schon vor langer

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