SEAL Team 12: Bittere Vergangenheit (German Edition)
Wein begeistern?«, fragte sie in dem fast verzweifelten Versuch, ihn am Gehen zu hindern.
Er folgte ihr und warf einen Blick auf die halb leere Flasche Wein, während sie den Schlüssel an einen Haken in der Küche hängte. »Ich gebe mir Mühe, abends nichts mehr zu trinken«, bekannte er mit verschlossener Miene.
»Oh.« Sie kannte den Grund. »Nun, wie wäre es dann mit einem Glas Saft?«, schlug sie vor.
»Klar. Saft nehme ich gern.«
Sie konnte ihre Hand nicht ruhig halten, während sie zwei Gläser zuckerarmen Fruchtsaft eingoss.
»Hey, die Marke kaufe ich auch«, stellte er fest und sprach dabei praktisch in ihr Ohr.
Penny schnappte nach Luft. Sie hatte nicht bemerkt, dass er hinter sie getreten war. Zwischen ihm und dem Tresen eingeklemmt, platzte sie mit dem Erstbesten heraus, das ihr in den Sinn kam. »Haben Sie Lust, mir bei einem Puzzle zu helfen?« Im nächsten Moment hätte sie sich liebend gern selbst getreten. Joe war nicht der Typ, der herumsaß und puzzelte.
»Ein Puzzle?«, wiederholte er und sah sie fragend an.
»Ja, es liegt hier drüben.« Sie gab ihm sein Glas und führte ihn ins Esszimmer. »Ich sitze jetzt schon seit Wochen daran.«
Als sie das Licht anmachte, beleuchtete der Kristallleuchter das tausendteilige, zu zwei Dritteln fertiggestellte Puzzle, das den halben Mahagonitisch in Beschlag nahm.
Ein einziger Blick genügte, und Joe dachte: Kein Wunder, dass sie seit fünf Jahren keiner flachgelegt hat . Doch dann sah er genauer hin und traute seinen Augen nicht. »Das ist Red Rock Canyon. Da bin ich aufgewachsen.«
»Im Ernst?« Sie lächelte verwundert.
»Von der Klippe da bin ich mit dem Gleitschirm abgesprungen.« Er berührte den fertigen Teil des Puzzles, dann sah er sie an. »Und das setzen Sie zufälligerweise gerade zusammen?«
»Ja, ich interessiere mich total für Schluchten. Ich liebe die Farben und die wilde, fast unweltliche Landschaft.«
Als sie so viel Begeisterung zeigte, fand er ihr Gesicht wunderschön.
»Was?«, fragte Penny verlegen. »Hört sich das dumm an?«
»Nein.« Er war der Dumme, weil er wider besseres Wissen hergekommen war. Für eine platonische Freundschaft brauchte man denselben katzenartigen Gleichgewichtssinn wie fürs Bergsteigen. Und er hatte keine Ahnung, ob er den aufbringen konnte. Aber er mochte Penny zu sehr, um es nicht zu versuchen.
Joe zog sich einen Stuhl heran, betrachtete die Puzzleteile und suchte sich die aus, die zu dem Abschnitt passten, den er vervollständigen wollte.
Penny setzte sich neben ihn. Als sie sah, was er suchte, reichte sie ihm weitere Teile.
»Ich habe mal eine Nacht in einer Hängematte verbracht, genau da, ungefähr sechshundert Meter über dem Boden.«
»Sie nehmen mich auf den Arm«, sagte Penny ungläubig.
»Nee. Hab geschlafen wie ein Baby.«
»Warum macht man denn so was?«, staunte sie.
Joe zuckte mit den Schultern. »Was soll ich sagen? Ich bin ein Adrenalinjunkie«, gestand er selbstironisch. Ah, wenn er an all das dachte, was er als junger Mann gemacht hatte, um auf natürliche Weise high zu werden. Er hatte sich wirklich lebendig fühlen wollen, anstatt immer nur so zu tun als ob.
Er ließ weitere waghalsige Abenteuer Revue passieren, während Penny ihm mit großen Augen zuhörte. Und endlich brachte er den Mut auf, ihr mitzuteilen, was er nun schon seit einiger Zeit jemandem sagen wollte. »Sie, äh, wollten erfahren, was in Afghanistan vorgefallen ist«, erinnerte er sie.
»Ja, das würde ich gern«, erklärte sie mit leiser, einladender Stimme.
»Also gut.« Er holte tief Luft und erzählte dann alles, presste trotz des Kloßes in seinem Hals jede Einzelheit hervor. Als er geendet hatte, blickte er auf, in der Angst, Penny enttäuscht zu sehen. »Ich weiß nicht, ob ich Harleys Aufgabe aus gutem Grund übernommen habe oder ob ich bloß selbstsüchtig war«, erklärte er und seine Augen brannten. »Vielleicht bin ich ja nur auf den Kick aus gewesen. Ich hatte seit zehn Jahren an keinem Einsatz mehr teilgenommen. Ich war eingerostet. Harley hätte sich womöglich anders verhalten. Mit ihm wären unsere Jungs vielleicht nicht draufgegangen.«
Pennys Augen strahlten Mitgefühl aus. »Oh Joe. Ich bin sicher, dass Ihre Beweggründe nicht egoistisch waren. Denken Sie nur daran, wie sie dem Veteran geholfen haben, der gelähmt aus dem Irak zurückkam. So ein Mann sind Sie. Damals haben Sie auch nicht an sich gedacht.«
Angesichts ihres Vertrauens in ihn fiel ihm ein Stein vom Herzen.
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