Sebastian
und sah sie sich genau an. Alte Steine. Alter, rissiger Mörtel. Sie stocherte hier und da in der Wand herum, aber die Aufregung darüber, in dem geheimnisvollen Garten zu sein, ebbte ab, und sie war schon fast davon überzeugt, dass eine alte Mauer nicht wirklich ein Zugangspunkt zu einer interessanten Landschaft sein konnte. Dann löste sich beim Stochern mit dem dünnen Ende des Stocks ein Stück Mörtel und legte ein Loch zwischen den Steinen frei, das so groß war wie der Kreis, den sie mit Daumen und Zeigefinger formen konnte.
Ein Loch, groß genug, um hindurchblicken zu können, wenn sie es bis zur anderen Seite durchstoßen konnte. Wieder und wieder rammte sie den Stock in das Loch und kratzte den lockeren Mörtel heraus, um Platz zu schaffen. Endlich, als ihre Hände bereits wund waren, und ihre Muskeln schmerzten, brach sie zur anderen Seite durch. Sie warf den Stock weg, fiel auf die Knie und spähte in die Öffnung.
Ein schmaler Streifen rostfarbenen Sandes führte zu einer dunklen, ruhigen Wasserfläche. Einige Minuten später lehnte Nigelle sich zurück. Das sollte es sein? Sand und Wasser? Das war die Furcht erregende, verbotene Landschaft, die alle Lehrer in Alarmbereitschaft versetzte, wenn ein Schüler danach fragte?
Angeekelt stand Nigelle auf und klopfte sich den Dreck von der Hose. »Ich hätte wissen sollen, dass der verbotene Garten nur eine Ausrede der Lehrer ist, um all jene zu bestrafen, deren Landschaften zu gut sind, um wahr zu sein.«
Sie schlüpfte durch das Tor und eilte zurück zum Torbogen. Dann hielt sie inne, um nach dem Sonnenstand zu sehen.
Zu spät, um noch in ihren eigenen Garten zu gehen. Wenn sie nicht rechtzeitig zum Abendessen auftauchte, würde sie wieder Ärger bekommen. Also würde sie sich bemühen, pünktlich zu sein und den Unterricht zu besuchen und für die Lehrer eine gute Miene aufzusetzen - selbst wenn es sie umbrachte.
Obwohl sie es vorziehen würde, wenn es die anderen umbrachte.
Angelockt von der Resonanz eines dunklen Herzens stieg Er der Oberfläche entgegen, wobei das dunkle, tiefe Wasser um Ihn herum beinah völlig still blieb. Er war vollkommen alleine, und so streckte Er einen Tentakel aus und berührte vorsichtig die Stelle, an der das Wasser auf den Sand traf - die Grenze zwischen zwei Seiner Landschaften. Aber die Resonanz im Sand reichte aus, um Ihn wissen zu lassen, dass Er sich nahe der verhassten Steine befand, die so lange sein Gefängnis gewesen waren.
Und trotzdem …
Seine Tentakel bewegten sich über den Sand. Sie änderten so schnell die Farbe vom dunklen Grau der Höhlen tief unter der Wasseroberfläche zum rostigen Farbton des Sandes, dass sie auf ihrem Weg zur Steinmauer unsichtbar wurden.
Noch bevor der erste Tentakel den Stein berührte, wusste Er, dass etwas anders war. Etwas hatte sich verändert. Es lag etwas Neues in der Luft, ein Hauch der Resonanz eines dunklen Herzens, genau … hier.
Seine Tentakel streckten sich, wurden zu dünnen Fäden aus Fleisch und Blut, die sich durch die kleine Öffnung zwischen den Steinen schlängelten. Stück für Stück bewegte sich der große Körper fließend über den Sand und durch die Öffnung, bis die Spitze des letzten Fangarms die Außenseite der alten Steinmauer berührte.
Frei.
Er hatte die Macht Seines Feindes nicht verstanden, hatte nicht gewusst, dass Er und die Landschaften, die Er geschaffen hatte, eingeschlossen werden konnten. Aber nicht vollständig. Niemals vollständig. Er war nicht in der Lage gewesen, in die wirkliche Welt außerhalb Seiner eigenen Landschaften zu gelangen, aber stets hatte Er die Fähigkeit besessen, die wirklich dunklen Herzen zu erreichen, und Seine Resonanz gleich einem Flüstern durch das Zwielicht zwischen Schlaf und Erwachen zu schicken. Und die Dunklen, die Ihn vor so langer Zeit erschaffen hatten, hatten oft genug einen Weg gefunden, Menschen in Seine Landschaften zu schicken, um Ihn bei Laune zu halten - und um Ihm und Seinen Kreaturen das Überleben zu sichern. Aber jetzt war Er frei von der Magie der Steinmauer, die Ihn gefangen gehalten hatte; jetzt konnte Er seine Landschaften wieder zu einem Teil der Welt werden lassen. Jetzt konnte Er die Dunklen finden, die Ihm helfen würden, die Welt zu dem zu machen, was Er in ihr sah. Jetzt …
Schritte näherten sich.
Die Tentakel zogen sich zusammen und formten acht Beine. Der Körper veränderte sich, bis seine Form zu den Beinen passte. Er kletterte über die Mauer des inneren
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