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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Geschlecht des Schnapses nebensächlich.
    Ich entschloss mich, die Rothaarige mithilfe der verschlafenen Blonden nach Hause zu bringen. Wobei die verschlafene Blonde noch mehr gebracht werden musste als die Rothaarige. Hartmut war nach seiner Niederlage abgerauscht, und als ich den Woodymann fragte, ob er mithelfen würde, antwortete er so etwas wie: »Eigentlich bin ich selber nicht in der Verfassung, ich halte mich nur künstlich auf den Beinen, wenn es dich nicht stört, bring sie doch du heim, du hast ja eh grad mit ihr auch eher mehr zu tun gehabt als ich, ich bin ja da doch eher nur so, nicht wahr, daneben, noch dazu zufällig ja eher gestanden …«
    Da er pro Wort bis zu zehn Sekunden brauchte, sah ich mich außerstande, seinen Erklärungen bis zum Schluss zu folgen, was wohl auch seine Absicht gewesen war.
    »Kannst du mir wenigstens helfen, deine Freundin heimzubringen?«, fragte ich die Blonde, die mich ansah, als sei sie zum ersten Mal in ihrem Leben aus dem Schlafzimmer gekommen.
    »Was?«, erwiderte sie im Allen-Tempo.
    »Wir müssen deine Freundin nach Hause bringen. Wo wohnt sie?«
    »Was? Bei mir. Wir wohnen zusammen. Girardigasse. Uh.«
    Sie knickte um, als hätte sie Stöckelschuhe an, dabei trug sie Turnschuhe. Ich hatte die Wohnungstür bereits geöffnet, sie hatte das wohl nicht mitbekommen, wollte sich dagegenlehnen und fiel in die offene Tür, blieb liegen und kotzte durchs Treppengeländer vom dritten Stock ins Erdgeschoss. Ich hatte noch niemals zuvor ein so pompöses Treppenhaus gesehen, mit marmornen Säulen und verzierten schmiedeeisernen Geländern. Selbst vollgekotzt hatte es noch etwas Imperiales. So war es wohl gewesen, wenn Kaiser Franz Joseph von einem ungarischen Fürsten mit Tokajer die Leber geschmiert bekam und durch ein höchstwohlgeborenes Würgen seinen K.u.k.-Körper wieder in Gleichklang brachte.
    »Geht’s?«
    Aber schon bei der Frage war mir klar, nein, es ging nicht, und sie schon gleich gar nicht.
    Mit zwei betrunkenen Frauen im Arm versuchte ich nun in den schmiedeeisernen Aufzug aus dem 17. Jahrhundert zu kommen. Der Aufzug hatte eine hölzerne Tür mit Buntglas, davor befand sich ein Gitter, das sofort zufiel, wenn man es losließ, um die Tür zu öffnen. Während ich mit den beiden Mädchen kämpfte, warf ich einen ersten Blick in den Aufzug. Es gab keine Knöpfe, sondern dicke Stifte, die man wohl in die Wand schieben musste. Auf einem Schild stand Berlin, 1907 . Es gab einen rot gepolsterten Sitz und einen prachtvollen Spiegel, in den wahrscheinlich schon Arthur Schnitzler und Alma Mahler geblickt hatten, um sich die Frisur zu richten oder die Schuppen von der Schulter zu schnippen.
    Mir rann der Schweiß die Stirn runter, und so richtig gut ging es mir nach dem Viertel Schnaps auch nicht. Endlich hatte ich es geschafft, die beiden auf den Sitz zu platzieren, wo sie schlapp ineinanderfielen. Ich drückte den »P«-Stift, aber nichts passierte, der Aufzug bewegte sich nicht. Ich drückte den »M«-Stift, ohne zu wissen, was »M« bedeuten könnte, ich drückte den »H«-Stift, den »P«-Stift, den »1«-Stift – nichts. Also zog ich die beiden Mädchen wieder vom Sessel hoch, kämpfte mich mit beiden im Arm durch Tür und Gitter zurück ins Treppenhaus, wo ich mit dem rechten Fuß in die Überreste des blonden Mädchens trat, die es nicht ins Erdgeschoss geschafft hatten. Genauso wenig wie wir drei.
    Drei im dritten Stock, dachte ich. Also neun. Mir wurde schwindlig.
    Während wir durch meine Schwäche nunmehr stark schwankten, kam eine ältere Dame mit Hund an uns vorbei. »Gsindel«, sagte sie. »Angenehm, Stermann«, erwiderte ich. Die Alte begann zu schimpfen, und die Rothaarige kicherte kurz, bevor sie wieder in sich zusammenfiel.
    Drei Stockwerke, das sollte wohl irgendwie gehen, dachte ich mir, riss mich zusammen und wankte vorsichtig los, links die Rote, rechts die Blonde im Arm. Wie Konsul Weyer im Palais Schaumburg.
    »Seid ihr okay?«, keuchte ich, weil sie sich kaum regten.
    »Was?«, murmelte die Rothaarige. Das glaubte ich zumindest, dabei tropfte sie aus dem Mund auf meine Schulter. Die Blonde ließ ihren Kopf auf meine andere Schulter fallen, was ich als Zustimmung betrachtete. Vorsichtig, Stufe für Stufe, drei Stockwerke, irgendwie. Im zweiten Stock dampfte ich wie ein Thyssen-Stahlwerk. Schweiß fiel in dicken Tropfen hinunter auf den mit Jugendstilornamenten verzierten Kachelboden. Ich versuchte sie mit dem Fuß wegzuwischen, ich war ja nur

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