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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Neger im Fernsehen.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Fernseher angemeldet haben? Vielleicht schauen Sie ja schwarz?«, hatte Tatjana geantwortet.
    Ich strich Mars durch und ersetzte es durch Europa .
    »Europa nicht in die EU?« Tatjana zeigte mir einen Vogel und ersetzte nicht in die EU durch zurück zu Österreich .
    »Ach so – Europa zurück nach Österreich«, konstatierte ich. »Triest, nicht nur die Triester Straße! Scheiß auf die EU-Osterweiterung, wir machen einfach wieder k.u.k. Hab ich dir eigentlich von unserem glorreichen Fußballsieg beim Palästinenser-Cup in der Sensengasse erzählt? Sechs Mannschaften, wir haben gewonnen, vor den Südtirolern. Bei der Siegerehrung standen zwei kleine Palästinensermädchen vor uns, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, schwenkten Palästina-Fahnen und skandierten minutenlang ›Sharon ist Mörder und Faschist!‹. Erst dann bekamen wir den Pokal.«
    »Dann finden diese Mädchen wohl auch, dass Israel nicht in die EU darf. Das Schöne am Fußball ist, dass es das Beste aus den Menschen hervorholt«, sagte Tatjana, die mir als Prinzessin eines Landes politisch überlegen war. Sie hat sich von einem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler schon einmal Tennisschuhe ausgeborgt und schon einmal auf der Burgterrasse in der Sonne gedöst, während neben ihr der NATO-Chef Rasmussen über Strategien im Kampf gegen die Taliban dozierte. Sie war ein anderes Kaliber als ich und auch als Frank, dem sie nichtsdestotrotz den Job mit dem Solidaritätsbuch verschafft hatte. »Leicht verdientes Geld«, hatte sie gesagt. Frank schrieb jetzt schon im dritten Jahr daran. Wenn man ihn nach dem Buch fragte, antwortete er meist: »Alles bestens. Es läuft wie Janssens Melkmaschine.«
    Als ich einmal wissen wollte, wie Janssens Melkmaschine denn liefe, sagte er: »Gar nicht. Janssens Melkmaschine ist noch nie gelaufen. Er melkt mit der Hand. Aber ihm ist es peinlich, das zuzugeben.«
    Dabei trat er gegen eine Dose, die bis auf die andere Straßenseite flog. Mit seinen Waden war Frank fürs Fußballspielen prädestiniert. Zusammen mit Klaus, dem DJ »Merchant of Venice«, und den Zwillingen Mathias und Max, die mit einem Doppeldecker Flüge über Wien und das Wiental anboten, war Frank schon mal Weltmeister geworden – im Dosenkicken. Die WM fand in St. Pölten statt, der sinnlosen Hauptstadt Niederösterreichs, sechzig Kilometer vor Wien. Sie spielten gegen Teams aus Krems, Salzburg und Bozen und setzten sich im Finale mit 4:0 durch. Frank hat seine Waden dreimal losgelassen, und der Bozner Torwart wünschte sich hinter die Alpen zurück.
    Frank hatte versucht, das liechtensteinische Solidaritätsbuch am Semmering zu schreiben. Im Landhaus Khuner, das vom berühmten Architekten Adolf Loos gebaut worden war, hatte die solvente Katharina ihm für drei Wochen ein Zimmer gemietet, aber Janssens Melkmaschine sprang auch hier nicht an. Nicht morgens, nicht abends, nicht bei den endlos langen Spaziergängen bis nach Mürzzuschlag und nicht bei dem langen Spaziergang zurück, mühsam wieder hinauf auf den Berg. Frank bestieg den Hirschenkogel und dachte an Solidarität in Europa, er bestieg die Rax und pfiff vergnügt das Wanderlied Wenn ich abends von der Rax heimgeh, ja dann tun mir meine Wadeln weh , und bei der Dimension seiner Waden waren Wadenschmerzen echte Schmerzen. Er wanderte bis zur Buckligen Welt, einem Höhenzug östlich vom Semmering, und pflückte dort Blumen und Kahlköpfe, die er in dünne Scheiben schnitt und trocknete. Er kaute die narrischen Schwammerln bedächtig, und nach einer Stunde begannen die Zauberpilze zu wirken. Stundenlang lief Frank leichtfüßig durch den Wald, tanzte glücklich durchs Unterholz, bis der Kleinsemmeringbach ein unüberwindliches Hindernis darstellte. »Der Bach ist zwanzig Zentimeter breit und etwa genauso tief, aber im Rauschzustand tritt eine merkwürdige Größenüberschätzung ein«, erzählte mir Frank später. »Wer in einem kleinen Land lebt und darunter leidet, dem sollte von der Krankenkasse eine Kur mit psychoaktiven Pilzen verschrieben werden. Mir kam der Semmering vor wie der Himalaja, der Bach wie der Nil und Österreich wie China und Russland zusammen. Es war fantastisch. Nach dem Rausch hab ich lange geschlafen und beim Aufwachen fühlte ich mich trotzdem erschlagen. Wie jeder Mann, der Großes erlebt. Geschrieben hab ich nichts.«
    »Vielleicht ist der Semmering zu nah an Wien«, beschloss ’s Gütli und mietete ihm ein

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