Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
aufgewachsen war, war das wie ein Heimstudium. Wer in einer Burg aufwächst, ist nicht sehr beeindruckt, wenn er später auch in einer Burg studiert.
Katharina war als Vorarlbergerin zu vernunftbegabt, um von diesem imperialen Studienort beeindruckt zu sein. Deshalb wunderte sie sich, warum Frank während der Vorlesung Fotos schoss – von den riesigen Flügeltüren, den Kachelöfen aus dem 18. Jahrhundert, den sieben Meter hohen Räumen. Und von Katharina.
»Hasch mi du fotografiert?«, fuhr sie ihn scharf an, in ihrem ausgrenzenden Bregenzer Dialekt, während die Professorin von Oskar Werners letztem Interview erzählte, das der berühmte Burgschauspieler, schon vom Tod gezeichnet, seinen besten Freunden auf einer Leinwand vorführte.
»Ja, hab ich«, hatte Frank geantwortet.
»Fotografier dich selbscht. Findsch du des net merkwürdig, hier mitten in der Vorlesung Fotos von jungen Mädchen zu machen?«
»Nein, finde ich nicht. Ich finde, du siehst in diesem Habsburger Palast aus wie eine Prinzessin.«
Tatjana kicherte und Katharina blickte auf den deutschen Studenten mit den kurzen Hosen und auf Waden, wie sie noch nie welche gesehen hatte. So hatten sie sich kennengelernt.
Frank und Katharina wohnten bald darauf zusammen in Katharinas Wohnung im 9. Bezirk neben der Votivkirche, die Erzherzog Ferdinand Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, mit dem Geld von 300 000 privaten Spendern errichten ließ, aus Dank dafür, dass sein Bruder, der junge Kaiser Franz Joseph I., 1853 ein Attentat durch den Schneidergesellen Janos Libenyi überlebt hatte. Katharinas Vormieter, ein 45-jähriger Wiener, hatte weniger Glück gehabt. Er war in einem Lift stecken geblieben, aber gerettet worden. Aus Dank fuhr er zur Weinhauser Kirche und umarmte dort ein Steinmarterl. Dabei löste sich die mehrere Hundert Kilo schwere und mindestens ebenso alte Grabplatte des Heiligenstocks aus ihrer hölzernen Verankerung und erschlug ihn.
Frank war dankbar, bei Katharina wohnen zu können, deren Eltern reich geworden waren durch den Verkauf von Regenschirmen bei den Bregenzer Seefestspielen. »Bre Regenz« hieß ihre Firma. Die Motive auf den Schirmen passten immer zu den jeweiligen Produktionen des Jahres: Die Zauberflöte, Hoffmanns Erzählungen, Carmen, Nabucco, Fidelio, Porgy and Bess …
»Mit jedem Regen prasselt Geld«, erklärte mir Frank, der in den Jahren vor Katharina von einem Kredit gelebt hatte und schmerzhaft am eigenen Leib erfahren musste, dass auch in Österreich der Spruch galt: »Banken verleihen Regenschirme, aber wenn’s regnet, ziehen sie die Schirme ein.« Jetzt konnte er sich bei Katharina unterstellen und es sich mit ihr im Warmen gütli gehen lassen. Denn so hieß sie mit Nachnamen: Katharina Gütli – »’s Gütli«, wie Frank sie nannte. Das hatte er von Prinzessin Tatjana übernommen.
’s Gütli, die vor Frank mit einem tschechischen Posaunisten zusammen gewesen war, erzählte mir, dass »Strache« der tschechische Begriff für »Angst« sei. Das traf sich gut, denn zufällig hieß der Führer der rechten FPÖ in Österreich ebenfalls Strache. Heinz-Christian Strache, ein wahrhaftig furchterregender Rechtsausleger. Israel nicht in die EU stand auf Plakaten der FPÖ, deren Spitzenkandidat besagter Herr Angst war, ein gelernter Zahntechniker, dessen Wähler ihre Implantate und Kronen gern im ungarischen Sopron anfertigen ließen, weil das dort wesentlich günstiger war als in Wien. »Einmal Fett absaugen und Zähne machen«, lautete inzwischen der klassische Kundenwunsch des reisenden Österreichers an die Touristenärzte im östlichen Nachbarland. Früher fuhren die Ostösterreicher nach Sopron, um billige Salami zu kaufen, die in den Zahnzwischenräumen stecken blieb und sich auf die österreichischen Hüften legte. Das war clever von den Ungarn, denn damit wurde damals bereits die Saat für das heutige Geschäftsmodell gelegt.
Auf einem der Plakate hatte jemand Israel durchgestrichen und Mars drübergeschrieben. Wir lachten. »Vom Mond aus betrachtet, sieht Österreich aus wie ein Schnitzel«, sagte ’s Gütli.
»Mit einer Panade aus Wut und Missgunst«, ergänzte Prinzessin Tatjana. Sie erzählte uns von einem Ausflug nach Velden am Wörthersee. Es war wunderschönes Wetter, auf dem Wasser winkten Menschen aus Booten, und die Kärntner Wirtin fragte sie: »Wieso gibt’s eigentlich so viele Neger im Fernsehen? Da zahlt man Gebühren an die Großkopferten in Wien, und dann sieht man nix wie
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