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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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lernte Rocco die deutschen Touristen hassen. Sobald er einen großen ADAC-Atlas auf der Rückbank der Opels und BMWs mit Mindener und Ulmer Kennzeichen liegen sah, stieg Ablehnung in ihm auf.
    »Bei Dresdner Kennzeichen nicht?«, fragte ich.
    »Das waren in der Regel Kollegen«, meinte er.
    »Die aus Ulm können sich ja bei ihrer bayerischen Botschaft in Wien beschweren gehen«, sagte Frank. »Diese deutschen Trottel. Die Nichtbayern haben ja keine Vertretung hier, die müssen zum Reisebüro gehen. Meckermann. Ich hab ein Auto auf der Wienzeile gesehen aus Tübingen, das hatte zwei Aufkleber an der Rückscheibe: Tübisch Tübingen und s’gibt badische und unsymbadische. Ich hab Gänsehaut bekommen vor Ekel.«
    Ich sah ihn an. Frank hatte ein verquollenes Gesicht. Er war mit der Freiwilligen Feuerwehr Kritzendorf zur Wespenbekämpfung ausgerückt und hatte offensichtlich die Wespen mit seinem Kopf angegriffen.
    Der Sitzschläfer und er waren, verbunden durch die erfolgreiche Schlammschlacht, gemeinsam in die Freiwillige Feuerwehr eingetreten. Frank hatte extra breite Stiefel bekommen, damit seine Waden hineinpassten. Der Ostfriese war jetzt niederösterreichischer Feuerwehrmann.
    »Bisch a Tiroler, bisch a Mensch. Bisch koa Tiroler, bisch a Arschloch«, zitierte Rocco.
    »Wie sich wohl die Sprache verändern wird in Tirol, wenn dort so viele Ostdeutsche niedere Tätigkeiten ausüben«, überlegte ich.
    »Es wird eine Kunstsprache entstehen. Tirächsisch oder Sächsolerisch«, sagte er.
    Sophie verzog das Gesicht. »Das ist ja eine grauenvolle Vorstellung«, sagte sie. »Tiroler Schützen, die reden wie Jens Weißflog. Rocco, ich hab’s vergessen: Wie habt ihr in der DDR noch einmal einen Engel für den Weihnachtsbaum genannt?«
    »Beflügelte Jahresendfigur.«
    Wir lachten. Sophie stand auf und schaute nach dem Schweinsbraten mit Honig, der zusammen mit Datteln und Karotten im Rohr lag und einen köstlichen Duft verbreitete. ’s Gütli holte aus ihrer Tasche eine Gratis-Tageszeitung. »Schaut euch das an«, sagte sie und zeigte auf eine Schlagzeile. »Bei einem Autounfall sind sechs Menschen und ein Türke ums Leben gekommen, heißt es da!«
    »Vielleicht waren es zwei Unfälle?«, schlug Frank vor. »Erst starben sechs Menschen, und dann starb auch noch ein Türke.«
    »Willst du das jetzt schönreden?«, schimpfte ’s Gütli. »Wie hättst denn du das formuliert im Vaterland ?«
    »›Sieben Ausländer tot!‹ Kurze, knappe Information für die Menschen eines kleinen Landes«, sagte er.
    »Sacklzement, Harrgottzack!«, rief ’s Gütli. »’s isch numma g’hörig! Des kascht rüabig si lo!«
    Wenn sie ärgerlich war, redete sie so, wie man in »Breagaz«, also Bregenz untereinander spricht. Allerdings wurde sie so im Rest Österreichs nicht verstanden. Deshalb sprach sie normalerweise »Bödeledütsch«, ein dialektal eingefärbtes Hochdeutsch.
    »Das ist doch wirklich eine Sauerei, so eine Überschrift. Und niemand regt sich auf«, bödeldütschte sie.
    »Doch, du zum Beispiel«, sagte Rocco. »Österreich ist ein katholisches Land. Du sagst etwas Schlimmes oder schreibst etwas Arges – und die Sünden werden dir vergeben. Die einen schimpfen, die anderen nicken zustimmend, am Ende des Tages ist es wurscht, und alles beginnt von vorn. Darum können hier auch Politiker die grauslichsten Sachen sagen – nie würde einer von denen zurücktreten. Katholiken treten nicht zurück, sie beichten. Oder hast du schon mal gehört, dass ein Papst zurücktritt? Nicht mal ein kleiner Pfarrer tritt zurück, wenn er seinem Messdiener den Schwanz misst. Drei Vaterunser und ein Rosenkranz, das war’s. Dann kann schon der Nächste zum Messen kommen.«
    ’s Gütli nickte. »Vorarlberg war am längsten heidnisch. Die Missionare kamen aus Irland und Schottland nach Österreich, aber die Vorarlberger haben jeden Mönch, der über den Arlberg wanderte, sofort erschlagen. Ein Heidenspaß war das, also nichts für Christen«, frohlockte sie.
    »Außerdem ist das eine Gratiszeitung, was du da in der Hand hast. Was erwartest du da, mein Schatz?«, fragte Frank. »Gratis, da bekommst du ein paar Meldungen. Die Moral von der Geschicht nicht. Für Mitleid wird dort keiner bezahlt.«
    »Tja, die Gratiszeitung ist halt nicht die Süddeutsche «, sagte ich.
    Frank lächelte gequält. Zwei Wespenstiche hatte er im Gesicht. Einen auf der Stirn und einen am Kinn. Rot-weiß-rot. Am Nationalfeiertag könnte man ihn hissen.
    Sophie stellte

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