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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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nicht weniger geeignet gewesen für diese Führungen als irgendein Brillenträger vom Land.«
    Das Wort »Brille«, so Rocco, wurde abgeleitet vom Kristall Beryll.
    »Und Augengläser?«, fragte Sophie. »Wir sagen ›Augengläser‹ in Österreich. Woher leitet sich das ab?«
    »Von Nasenfahrrad«, antwortete er grinsend. Die passende Antwort auf so eine Frage, musste ich innerlich eingestehen.
    Mit den Jahren wusste Rocco alles über Frenzelbrillen, Gleitsichtbrillen, Lochbrillen und Paukbrillen. Er zeigte den immer spärlicher werdenden Besuchern Schwedenbrillen, Sonnenbrillen, Taucherbrillen und Umkehrbrillen.
    Erst als das Museum von Kürzungen betroffen war und die Führer von Kopfhörern abgelöst wurden, verließ er Jena-Paradies, und wie so viele Leute aus Apfelstädt und den anderen nicht ganz so blühenden Städten in Thüringen wie Schkölen, Triptis oder Ziegenrück zog es ihn nach Österreich. Denn in Tirol, so hieß es in den neuen Bundesländern, gibt es Arbeit. Und so zogen sie in Scharen von Sachsen in die Alpen, aus Freiberg, Flöha, Schkeuditz und Zwickau nach Patsch, Tux, Bschlaps und Vomp, und trafen dort auf Thüringer und Anhaltiner aus Hohenmölsen und Brücken-Hackpfüffel.
    »Brücken-Hackpfüffel? Du nimmst uns auf den Arm«, rief Sophie lachend.
    »Das ist nicht gelogen, sondern in Sachsen-Anhalt. Die Menschen zogen fort aus Eimersleben, so schnell sie konnten aus Eilsleben, aus Klein Wanzleben und Giersleben, aus Hohendodeleben, weil sie keine Arbeit hatten und wohl niemals finden würden in Trebbichau an der Fuhne oder Tornau vor der Heide. Was glaubst du, wo all die Taxifahrer und Liftwarte, all die Kellnerinnen und Zimmermädchen in den österreichischen Wintersportorten herkommen?«
    »Aus Brücken-Hackpfüffel?«, fragte Sophie.
    »Genau. Wir alle aus Brücken-Hackpfüffel und Völpke und Hötensleben waren auf der Suche nach einem neuen Leben. Weil uns das Wasser bis zum Hals stand, zogen wir nach Obergurgl, Untergurgl und Hochgurgl. In ein Land, dessen Sprache wir sprechen.«
    »Tut ihr das?«, fragte ’s Gütli. »Glaubst du den Schmarrn, von wegen, das Einzige, was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache? Du Hobbytiroler, nur weil du ein paar Jahre in diesem Bergkaff gelebt hast, glaubst du, du verstehst was? Dann hör mal gut zu: Nacht z’Neunerlen hob i a Kudl mit gfierige Ranggn marendet. Na?«
    »Du hast gestern zur Neunuhrjause eine Kanne mit schönen Preiselbeeren gejausnet!«
    »Nicht schlecht, der Ossi!«, rief die Westösterreicherin und klatschte Beifall.
    »Und jetzt du«, sagte Rocco. »Nachsprechen, so schnell du kannst: Der Pfarrer von Bschlabs hat z’Pfingsten s’Speckbsteck zspat bstellt!«
    Tatsächlich hatte Rocco sich sprachlich assimiliert. Ihm war auch nicht viel anderes übriggeblieben. Eine Leipziger Arbeitsagentur hatte ihn nach Kühtai vermittelt, einen Ortsteil der Gemeinde Silz im Sellraintal im Tiroler Oberland – ein wahrhaftes Kuhdorf. Allerdings nicht nur das.
    »Der höchstgelegene Wintersportort Österreichs«, posaunte Rocco nicht ohne Stolz. »2020 Meter hoch.«
    Was er nicht erwähnte, waren die zwölf Einwohner und die Sehenswürdigkeiten: Mondscheinrodelbahn, Jagdschlosskapelle, Marienkirche. Dazu noch die Alpenrosenblütezeit Ende Juni. Im Winter und Hochsommer kamen Touristen, zwischen September und Dezember herrschte hingegen große Einsamkeit. Keine Alpenrosen mehr und noch kein Schnee, so dass der Mondschein sinnlos auf die Rodelbahn runterschaute. Die drei von der Arbeitsmarktagentur Leipzig vermittelten Ostdeutschen putzten traurig das leere Sporthotel, das auch im Hochsommer nie ganz ausgebucht war. Die deutschen Gäste waren oft unzufrieden: das Wetter schlecht, dazu ostdeutsche Kellner. »Da können wir ja gleich in den Harz fahren, wenn wir uns von Ossis bedienen lassen wollen«, schimpften sie.
    Die Zimmer fanden sie schmutzig. So kann man vielleicht
in eurer LPG saubermachen, aber nicht in einem Hotel , schrieben die Touristen aus Hannover und Bielefeld ins Beschwerdebuch. »In meinem Zimmer sieht’s aus! Da sind sogar Kakerlaken, das muss man sich einmal vorstellen!«, riefen sie über den Flur.
    »Kakerlaken auf über 2000 Meter? Das müssen ungewöhnliche Kakerlaken sein. Da sollten wir gleich im Alpenzoo in Innsbruck anrufen. Eine zoologische Sensation. Die gemeine Kakerlake ist im Alpengebiet sesshaft geworden!«, blaffte Rocco dann zurück.
    »Da gibts koane Kakerlaken!«, brüllte der Tiroler Hoteldirektor.
    So

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