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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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den riesigen Topf auf den Tisch. Das Schwein brutzelte im Saft, die Schwarte war goldbraun, die Datteln und der Honig verströmten einen süßen Geruch. Aus dem kochenden Wasser eines zweiten Topfes hob sie vorsichtig die Serviette mit dem Knödel heraus und schreckte sie unter kaltem Wasser ab. Sie öffnete den Knoten der Serviette, und zum Vorschein kam ein grandioser Serviettenknödel. Sie schnitt den Knödel in Scheiben und sagte: »Für meine deutschen Gäste: Der Kloß ist fertig.«
    »Dann ab in den Hals damit«, rief Rocco und dämpfte seine Kim aus. Fast drei Jahre lang hatte er in Kühtai gelebt, als überqualifizierter Ossi für alles. Er kellnerte, reparierte, machte Aufgüsse in der Sauna, schaufelte im Winter Schnee vom Dach des Sporthotels, brachte die Gehbehinderten mit dem Snowmobil zum Mondscheinrodeln und bot zehnminütige Führungen zu den beiden Sehenswürdigkeiten an. Er hatte keinen Plan. Seine Zukunft war für ihn eine römische Kolonie in Latium: einfach nicht zu finden. Stattdessen spielte er mit den fünf Männern des Ortes am Wochenende Fußball. Den Ball hatte er selbst mitgebracht.
    »Der erste Ball, der jemals in Kühtai war. Stell dir mal vor, die haben noch nie Fußball gespielt da oben. Die kannten das nur aus dem Fernsehen. Klar, zu wenig Leute und überall diese steilen Hänge, da kann man nicht gescheit spielen.«
    »Das ist vielleicht das Grundproblem des österreichischen Fußballs«, sagte ich. »Zu wenig Menschen, zu viele steile Hänge. Wenn du immer bergauf oder bergab spielen musst, entwickelst du kein realistisches Gespür für das Spiel.«
    »Wir haben dann einfach auf einem kleineren Feld gespielt und Fangzäune gebaut, dass der Ball nicht runterrollt bis ins Tal. Hat Spaß gemacht. Ich war Spielertrainer und Präsident des FC Kühtai. Ich bin heute noch Ehrenpräsident.«
    »Ich hab den Schriftsteller Felix Mitterer mal fürs Radio über seine Kindheit interviewt. Der ist von seinen Adoptiveltern, Tiroler Almbauern, als kleines Kind mit einem Strick an einem Pflock festgebunden worden, damit er nicht ins Tal runterfällt. Das hättet ihr mit dem Ball auch machen können, oder gleich mit jedem Spieler«, schlug ich vor.
    »Ich weiß nicht. Das ist nicht meine Auffassung von modernem Fußball«, antwortete Rocco.
    »Aber es erleichtert die Positionstreue, wenn man angepflockt ist. Hab ich dir von meiner grandiosen Taktik schon erzählt?«
    »Ja, hast du: Einer führt den Ball am Fuß, die anderen bilden einen engen Kreis um diesen Spieler und schieben sich so langsam vor bis zum gegnerischen Tor.«
    »Todsicheres System«, sagte ich. »Die gegnerische Mannschaft hat keine Chance, an den Ball zu kommen. Nur mit Fouls. Perfekt ist das!«

In einer normalen Wintersaison gibt es
    in den Tiroler Bergen rund 15 000 Skiunfälle und etwa 5000 Knochenbrüche. Rocco war der erste Schienbeinbruch über 2000 Meter, der beim Fußballspielen passierte. Wäre er angebunden gewesen, wäre nichts geschehen. Hätte man meine Umkreisungstaktik gewählt, auch nicht. So aber lief Rocco den Abhang entlang mit dem Ball am Fuß, stürzte über das Fangnetz und fiel vier Meter tief auf einen Felsvorsprung. Es krachte so laut, dass die wenigen Touristen neugierig aus der Vierersesselbahn guckten und Fotos machten. Mit dem VW-Bus des Sporthotels wurde Rocco nach Innsbruck gebracht, über rumpelnde Bergstraßen, vorbei an Bergseen und blühenden Alpenrosen. Auf dem Bus stand: Urlaub in Kühtai – nachhaltiges Wohlbefinden . Das Höhenreizklima half Rocco jetzt nicht.
    In Innsbruck wurde er ins »Spital des Landesgerichtlichen Gefangenenhauses« eingeliefert. Das war eigentlich ein Knastkrankenhaus, aber der Kühtaier Bürgermeister war gleichzeitig der Besitzer des Sporthotels, in dem Rocco arbeitete, Torwart des FC Kühtai und außerdem gut befreundet mit dem Primar des Hospitals. Rocco wurde operiert und mit einem Nagel wurde sein Schienbein stabilisiert. Zwei Wochen lang lag er anschließend im Gefangenenkrankenhaus, in einem schönen Sechser-Zimmer mit Blick auf die Bergisel-Sprungschanze, auf der die Skispringer ihr Sommertraining absolvierten. Bei guter Sicht sah Rocco, wie sie flogen und auf den Matten landeten. Besser als auf einem Felsvorsprung, dachte er sich.
    Nur ein weiteres Bett war belegt. Offenbar waren die Tiroler Häftlinge pumperlgsund, Bergfexe, die nichts umwirft. Sein Mitpatient war an der Bandscheibe operiert worden. Ein schon ergrauter Herr Ende fünfzig, Dr.

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