Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
…« Er hielt sich den Kopf.
Ich öffnete die Tür zur Speis und schloss sie sofort wieder. Ein beißender Geruch durchdrang die ganze Wohnung.
»Wenn man die Tür nicht öffnet, geht’s«, sagte Spön.
Ich sah ihn eindringlich an. »Warte hier«, sagte ich und verließ eiligst die Wohnung. Im Erdgeschoss versperrte mir der Rollstuhl von Herrn Pröhl den Weg.
»Der Marmeladinger«, rief er. »Das hammer scho gern. Unseraner tut rackern und ruacheln, barabern und hackeln, und da kummt so a ORF-Arschloch dahergschlendert wie wos.«
Ich stand vor ihm, beugte mich zu ihm hinunter und lächelte. »Was genau arbeiten Sie denn, Herr Pröhl? Und kann ich mal eben Ihre Rundfunkgeräte überprüfen? Zahlen Sie Rundfunkgebühren, Herr Pröhl? Ich bin beim ORF jetzt für die Gebühren zuständig!«
Schnaubend schob er seinen Rollstuhl in den Türstock seiner Wohnung zurück.
»Du Bemmerl«, zischte er drohend. »Nebochant! Einedrahra! Schüttler, narrischer!«
Ich verließ das Haus und kaufte beim BIPA ein paar übergroße Müllsäcke. »BIPA« – »Billige Parfümerie«, so hatte der Drogeriemarktketten-Gründer Karl Wlaschek 1954 seinen ersten Laden genannt. Wlaschek war ein kleiner Mann und vielleicht deshalb ein begeisterter Abkürzer. Seiner Supermarktkette gab er folgerichtig den Namen »BILLA« – »Billiger Laden«. Von sich selbst sprach er wahrscheinlich als »KAWL«.
Als ich in Spöns Wohnung zurückkehrte, stand die Tür der Speis offen und Spön hockte vor dem Hundekadaver. Er hatte sich ein Taschentuch um den Mund gehängt und sah aus wie eine asiatische Touristin, so klein und schmal, wie er war. Neben ihm lag eine Axt mit blutiger Schneide, in der Hand hielt er eine Schere, mit der er ein Stück Fell von Derrick abschnitt.
»Spön?«, fragte ich vorsichtig.
»Da! Schau!« Er zeigte mir eine Kralle von Derrick, an der noch blutiges Gewebe hing. »Ich werd’s waschen und in ein Medaillon geben. Zusammen mit dem Stück Fell. Was glaubst du, wird das der Heidi gefallen?«
Mir wurde leicht übel, aber ich riss mich zusammen. »Ich führ das jetzt mal auf deinen Unfall in der Montagegrube zurück«, stöhnte ich. »Heidi wird dich verlassen und dich anzeigen und nicht eher ruhen, bis du mit deinem verrückten Nachbarn im Rollstuhl zusammen in der Psychiatrie in Gugging sitzt oder auf der Baumgartner Höh eingeliefert wirst. Und womit? Mit Recht wird sie das tun! Hör jetzt endlich auf, die Leiche zu schänden! Wir müssen Derrick begraben oder verbrennen! Und zwar sofort!«
Wir steckten Derricks Körper in den übergroßen Müllsack und schoben ihn gemeinsam Stufe für Stufe die Treppe hinunter. »Kein Wort!«, schnaubte ich, als ich Herrn Pröhl mit seinem Rollstuhl anrollen sah. »Einfach mal die Klappe halten!«
Ich rief bei der Auskunft an und ließ mich mit einem Krematorium verbinden. Dort teilte man mir mit, dass wir sofort vorbeikommen könnten. Ich winkte ein Taxi heran, und wir verfrachteten die stinkende Hundeleiche in den Kofferraum.
»Simmeringer Lände, im 11. Bezirk, Richtung Alberner Hafen«, sagte ich.
»Zum Krematorium? Is des Hundi gsturm?«, fragte der Taxifahrer.
Ich nickte und sah Tränen in des Taxlers Augen.
»Ich bin vom Pech begünstigt«, sagte Spön. »Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß. Weißt du, was aus Menschen wird, aus denen nie was wird? Ich.«
»Spön, es reicht!«, sagte ich. »Es gibt auch gute Neuigkeiten. Ich habe einen Platz für unser Spiel. Sogar ein ganzes Stadion.«
Spön sah mich von der Seite an. Seine Stirn war angeschwollen. »Was für ein Stadion? Spinnst du?«
»Mitten im Prater. 30 000 Leute haben da mal reingepasst.«
»Glaubst du nicht, dass das übertrieben ist? Ich hab noch nicht mal meine elf Mann zusammen. Mehr als 20 000 Zuschauer würden mich bei dem Spiel wundern.« Er lächelte schmerzverzerrt.
»Das ist das perfekte Spielfeld«, sagte ich. »1902 war dort das erste reguläre Länderspiel einer österreichischen Mannschaft – der Städtekampf Wien-Budapest. Das ist historischer Boden, das passt doch wohl zu unserem Kick.«
Spön verzog ungläubig den Mund und dachte wohl an die leeren Ränge. Ich konnte ihn beruhigen: »Das Stadion ist heute völlig verfallen. Es steht nur noch ein Teil der Stehplatztribüne aus den 20er Jahren.«
»Woran isser denn gsturm?«, mischte sich der Taxifahrer ein. »Würmer? Maner hat Würmer. Schiach. So lang wern die!« Er zeigte mit beiden Armen, wie lang der Wurm eines Hundes
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