Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
Vom Netzwerk:
werden konnte. Mehrere Autos hupten, während sein Wagen führerlos schlingerte.
    »Aus’m Fenster gefallen isser. Genick gebrochen,« sagte Spön. »Jetzt hat er aber auch Würmer – Leichenwürmer.« Mir wurde wieder schlecht.
    Das Krematorium war ein freundliches, neues Gebäude im Nirgendwo, nahe der Donau. Eine resolute, feste Dame in einem dunklen Kostüm empfing uns an der Tür. Wir hievten den toten Derrick aus dem Taxi und warfen ihn auf einen Handwagen, den sie uns gebracht hatte. Langsam und würdevoll schob sie den Wolfshund in das letzte Gebäude, das er in all seiner Stofflichkeit besuchte.
    »Sollten Sie von Ihrem Liebling noch einmal in aller Ruhe Abschied nehmen wollen, gibt es die Möglichkeit der Aufbahrung«, flüsterte sie.
    Ich hoffte inständig, dass Spön nicht daran interessiert war, den nach Pest stinkenden Hund mit gebrochenem Genick und gebrochenem Bein, abgeschnittenen Krallen und einem Loch im Fell aufzubahren.
    »Die Aufbahrung findet in einem extra dafür eingerichteten Raum statt, in dem das Tier aus hygienischen Gründen hinter einer Glasscheibe mit Blumen geschmückt aufgebahrt wird.«
    Sie sprach so feierlich leise, dass man sie beinahe nicht verstand. Spön schüttelte den Kopf.
    »Jeder Tierbesitzer kann sich durch seine persönliche Anwesenheit bei der Kremierung vergewissern, dass sein Haustier allein kremiert wird.«
    »Aha«, sagte Spön, wesentlich lauter als sie. Die füllige Frau kam mir bekannt vor. Ich hatte sie schon einmal gesehen, konnte mich aber nicht erinnern, wo.
    »Bei der Kremierung kommt der Tierkörper selbst nicht mit den Flammen in Berührung, sondern zerfällt unter sehr großer Hitzeeinwirkung von etwa 1000 Grad zu Asche. Aufgrund eines speziellen Systems der Abgasverbrennung entstehen bei der Einäscherung keinerlei Geruchsbelästigungen.«
    Derrick stank schon jetzt so, dass eine weitere Geruchsbelästigung gar nicht aufgefallen wäre.
    »Von mir aus können wir beginnen«, sagte Spön.
    »Die kremierten Überreste können Sie dann in einer Urne mit nach Hause nehmen. Wir haben verschiedene Modelle. Wenn Sie sich bitte vorher entscheiden möchten? Hier ist das Standardmodell um 79 Euro 50. Die Exklusivmodelle, das ›Pfötchen‹ zum Beispiel, sehen Sie, ganz lieb sind da außen bunte Tatzenspuren angebracht, das käme auf 123 Euro bei Ihrem Hund.«
    Spön zeigte mir unauffällig einen Vogel und nahm eine einfache Keramikvase in die Hand.
    »Das ist die ›Bordeaux‹, sehr hübsch, geht aber nur bis vierzig Kilo. Das ist in Ihrem Fall zu klein.«
    »Aber der Hund wird doch wohl weniger wiegen, wenn er verbrannt wurde? Das werden ja nicht sechzig Kilo Asche?«, warf Spön ein.
    Die dicke Dame lächelte milde. »Nein, wir gehen da nach dem Lebendgewicht.« Eine fragwürdige Bezeichnung, wie ich fand. Schließlich war Derrick tot.
    »Was kostet denn die Einäscherung überhaupt?«, fragte ich.
    »Bei Hunden zwischen dreißig und siebzig Kilo kostet es 498 Euro«, sagte sie ruhig.
    Spön sah mich an. »Haste Scheiße am Fuß!«, sagte er. »Gut, aber die Urne nehm ich nicht. Schütten Sie die Asche einfach in den schwarzen Müllsack, in dem er jetzt liegt.«
    Die dicke Dame schob den Müllsack zur Feuerstelle. Sie öffnete eine Klappe, und wir schoben den Hund ohne Sack hinein. Sie schloss die Klappe und die Augen. Mit geschlossenen Augen drückte sie auf einen Knopf in der Wand. Mozarts Requiem kam leise aus zwei kleinen Lautsprechern. Die Frau sprach getragen über Mozarts Musik:
    »Das Tier erkennt die tiefsten Tiefen uns’res Wesens, hält zu uns, selbst wenn die ganze Welt uns auch verlässt.
    Die Treue eines Tieres kann uns rühren,
    Weil Treue unter Menschen doch so selten ist.«
    Plötzlich fiel mir ein, woher ich die Frau kannte. Ich hatte sie einmal fürs Radio interviewt. Damals leitete sie in Favoriten ein Fledermausspital. In einem Reihenhaus in einer Arbeitersiedlung lebte sie mit Hunderten von Fledermäusen zusammen, die sie fütterte und verarztete, sowie einem spindeldürren Mann, der nervös wirkte und sich vor den flatternden Tieren zu fürchten schien. Jetzt hatte sie das Metier gewechselt. Vom Verarzten war sie auf Verbrennen umgestiegen.
    Das Interview mit der Fledermausfrau war damals am Anfang meiner ORF-Laufbahn. Etwa zu der Zeit meines Entpiefkenisierungssprachkurses.

»Sagen Sie einmal ›Frühstücksei‹.«
    »Frühstücksei«, sagte ich.
    »Nein, noch einmal: Frühstücksei. Ich mache es Ihnen deutlicher:

Weitere Kostenlose Bücher