Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
über Jugendstil. »Was heißt denn Jugendstil auf Französisch?«, fragte er mich.
»Puh, keine Ahnung«, antwortete ich. »Vielleicht Renaissance?«
Ich hielt das Mikrophon, und Rüdisser krähte die Fragen hinein. In der Josefstadt fragte er den leibhaftigen H.C. Artmann nach Marie von Ebner-Eschenbach. Er erkannte Artmann nicht und sprach ihn vor Ebner-Eschenbachs ehemaligem Wohnhaus auf der Straße an.
»Entschuldigen Sie, ich komme vom ORF. Wussten Sie, dass in diesem Haus einmal die berühmte Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach gelebt hat?«
H.C. Artmanns Augen funkelten vergnügt. Der hagere Dichter betrachtete uns, wie ein Brit-Popper auf Bodybuilder guckt. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. Artmann beugte sich zum Mikrophon runter, ganz nahe kam er mit seinem Mund. Flüsternd und eindringlich antwortete er: »Die Sonne warrr ein grünes Ei.« Artmann nickte vielsagend und ging beschwingt weiter.
»Des isch a Vollkoffer gsi«, sagte Rüdisser.
»In dem Gespräch gerade war er allerdings der Gscheite«, sagte ich und war sehr beeindruckt. Genau in diesem Moment überquerte Ernst Jandl neben mir die Straße.
Im 9. Bezirk standen wir auf der Währinger Straße vor dem Haus Nr. 50 – die letzte Wohnstätte von Heimito von Doderer. Niemand öffnete, als wir klingelten, darum entschied der Vorarlberger, dass wir wieder mal Passanten befragen sollten. »In der Hoffnung, dass es nicht wieder so Idioten sind wie der von vorhin.«
In der Volksschule gegenüber läutete es, und Dutzende Kinder kamen auf uns zu. Rüdisser wies mich an, das Mikrophon einzuschalten. Launig fragte er die Kleinen: »Kennt ihr die Strudlhofstiege ?«
»Bist du vom ORF?«, fragten die Kinder.
»Ja, bin ich«, sagte er.
»Du sprichst aber komisch. Hast du ein Hendl verschluckt?«, fragte ein kleines Mädchen, und die anderen Kinder kreischten vor Vergnügen. Ich musste auch lachen.
»Apfelstrudlhofstiege, Apfelstrudlhofstiege«, skandierten die Kinder. Ein Mädchen mit einer roten Mütze stellte sich vor mein Mikrophon und sagte: »Noten sind gemein. Kein Kind ist nur fünf.«
In Favoriten, im 10. Bezirk, gerieten wir in Not. Rüdisser hatte keine einzige berühmte Persönlichkeit gefunden, die in diesem Arbeiterbezirk jemals gelebt hatte oder geboren war.
»Wir müssen umdisponieren«, krächzte er. »Wir gehen in einen Gemeindebau und fragen die Leute, warum sie glauben, dass keine einzige berühmte Person hier gelebt hat. Das kann auch launig sein.«
Ich war skeptisch. Wir fuhren mit dem Bus über den Verteilerkreis Favoriten zur Per-Albin-Hansson-Siedlung. Robert hatte mir einmal erzählt, dass fast jede Urlaubsgeschichte eines Wieners aus dem 10. Bezirk mit den Worten »Bin i gstanden Verteilerkreis Favoriten« beginnt. Von dort staute es sich regelmäßig bis zur Auffahrt auf die Autobahn in den Süden.
5000 Wohnungen hat die Per-Albin-Hansson-Siedlung, die Ende der 60er Jahre aus großteils fünf- bis achtgeschossigen Fertigteilblocks errichtet worden war. Vor einem der Wohnsilos blieben wir stehen.
»Glaubst du, es ist klug, denen zu sagen, dass ihr Bezirk der einzige in ganz Wien ist ohne Promi?«, fragte ich, aber Rüdisser läutete bereits an mehreren Klingeln gleichzeitig. Der Türsummer erklang, und wir betraten das unfreundlich wirkende Haus.
»Wir machen es jetzt so, dass du fragst«, sagte er. »Ich bin eh schon so oft zu hören.«
Und schon klingelte er an einer sehr zerkratzten Wohnungstür. Wir hörten schwere, sich nähernde Schritte. Die Tür wurde aufgerissen. Ein offensichtlich wütender Mann im Unterhemd stand vor uns und starrte uns feindselig an.
»Wos is?!«, brüllte er.
Rüdisser stieß mich an.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte ich mit etwas heiserer Stimme. »Es dauert nicht lang.«
»Jetzt scho! Es dauert jetzt scho z’lang. Wos wüst?«
»Sehen Sie, wir sind in ganz Wien auf der Suche nach Adressen, wo einmal berühmte Leute gewohnt haben.«
»Und?«, schrie er. »Do kummts auf mi, oder wos? Bin i a berühmte Person, oder wos? Hams eich ins Hirn gschissen und net gscheit umgrührt? Soll i dir sogn, wofür i berühmt bin, du deitsches Würschtl? Oaschtrittmaster bin i, und den konnst jetzt hom, an Oaschtritt, an gewaltigen, dass es scheppat!«
»Ist schon gut, vielen Dank«, murmelte ich hastig und beeilte mich, von der Tür wegzukommen.
Wir verließen das Haus. Rüdisser war begeistert. »Das war doch wirklich wienerisch!«
»Aber es war nicht launig,
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