Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
eine Pause. Nichts geschah. Sie hielt die Augen geschlossen, die Sekunden verstrichen. Ich sah Sophie an, sie zuckte fragend mit den Schultern.
»Aus?«, fragte Sophies Bruder, der ohne fremde Hilfe nicht einfach aufstehen konnte, um in sein Zimmer zu verschwinden. Er war dem Familientempo bei Tisch ausgeliefert.
Plötzlich öffnete sich Mizzis Mund wieder, sie presste ihr Taschentuch zusammen. »Und der Lenker eines Kleinbusses, der beim ORF als Chauffeur angestellt war.«
»Dirk ist auch beim ORF angestellt«, warf Sophies Mutter ein.
»Nicht angestellt. Ich bin freier Mitarbeiter«, korrigierte ich.
»Ach, frei? Das hast du uns gar nicht erzählt«, brummte Sophies Vater.
»Weil’s wurscht ist«, sagte Sophie.
Mizzi fuhr fort. »Der Busfahrer stürzte in seinem Fahrzeug in die Donau und wurde unverletzt geborgen. Die ÖAMTC-Mitarbeiter und der VW-Fahrer befanden sich auf dem Teil der Kaibrücke, das zwar brach und sich senkte, aber nicht vollständig zerstört wurde, so dass sie sich selbst zu Fuß retten konnten. Der ORF-Chauffeur wurde in seinem Wagen eingeklemmt und am nächsten Tag tot geborgen.«
»Siehst du, bringt gar nichts, angestellt zu sein«, sagte Sophies Bruder.
»Binnen einer Stunde war ein Viertel aller in Wien verfügbaren Fahrzeuge der Feuerwehr im Einsatz, auch Polizei, Rettung und das Bundesheer. Die auf der Brücke befindlichen Wasserleitungen, die den Norden Wiens mit Trinkwasser versorgten …«
Als das Wort »Trinkwasser« fiel, blickte Sophies Vater mich streng an. Sophie hatte mich gewarnt. Deutsch und evangelisch, das war für ihren Vater etwa das Gleiche wie ein schwarzer Kommunist für einen Republikaner aus den Südstaaten. »Wenn das so ist«, hatte ich zu ihr gesagt, »bin ich froh, dass wir in Wien sind und nicht in Belfast.«
»Dann nordirr dich mal nicht«, hatte sie geantwortet. Ich konnte nicht lachen.
»… setzten den Handelskai unter Wasser.« Mizzis Zähne schepperten erneut. »Explosionen wurden befürchtet, weil die über die Brücke geführten Gasleitungen gebrochen waren. Es herrschte tagelang strenges Rauchverbot. Und der Verkehrsstadtrat Hofmann?« Sie öffnete die Augen und schaute mich an. Ich hatte keine Ahnung, was mit dem Verkehrsstadtrat Hofmann war. Also schaute ich fragend zurück.
»War im Urlaub in der Schweiz. Am Matterhorn in einer Berghütte, und dort hat er keine Zeitung gelesen. Dann kam er braungebrannt eine Woche später nach Wien zurück und war ganz verwundert, weil die Reichsbrücke futsch war.«
Ich nickte. Jetzt wusste ich endlich auch, was mit dem Verkehrsstadtrat Hofmann gewesen war.
»Aber, sag, Sophie, hat’s denn nun wirklich ein Türk sein müssen?«, flüsterte Mizzi.
Ich besuchte Doron wenige Minuten
vom »Tel Aviv« entfernt in einem Tonstudio am Salzgries, wo er Musik für einen Werbejingle für ein sprechendes Schwein aufnahm, das Lust auf Öko-Produkte machen sollte. »Ja! Natürlich!«, so hieß das Produkt, und das süße, kleine »Ja! Natürlich!«-Schwein wurde wenige Wochen nach den Dreharbeiten ja natürlich geschlachtet, erzählte er mir, während er mit der Gitarre die Hintergrundmusik zu dem Fernsehspot spielte. Öko-Melodie des Todes fürs süße Schwein , nannte Doron sein Werk.
Nachdem ich mit ihm alle Details wegen des Platzes geklärt hatte, rief ich Spön an. Niemand hob ab. Als ich stattdessen Frank die erfreuliche Nachricht mitteilen wollte, ging auch er nicht ans Telefon. Schließlich erreichte ich Katharina.
»Hallo, Dirk. Frank liegt im AKH, er war wieder mit den Kritzendorfern im Einsatz. Hast du mitbekommen, wie es gegossen hat?«
»Ja, hab ich. Aber was hat er? Ist es was Schlimmes?«, fragte ich.
’s Gütli seufzte durch den Hörer. »Frank hat zusammen mit Ludwig einen Kanal frei geräumt.«
»Dem Sitzschläfer?«, fragte ich.
»Ja. Und dabei hat er einen Wadenkrampf bekommen. Du kennst seine Waden, es ist also was Ernstes. Die Rettung hat ihn gestern Abend ins AKH gebracht.«
»Wegen eines Wadenkrampfs?«, fragte ich ungläubig.
Sie musste lachen. »Ich hielt’s auch nicht für möglich. Sie müssen ihn aber wohl wenigstens nicht operieren.« Sie brach in großes Gelächter aus. »Er wird im Laufe des Tages wieder entlassen, glaube ich. Er hat übrigens von der Botschaft noch immer keine Antwort bekommen wegen der Trikots. Ich glaub, das wird nichts. Die haben jetzt rund um die EM sicher auch was anderes zu tun, als sich um euer Córdoba-Ding zu kümmern.«
»Und weißt du was
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