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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann
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Frühstücksaei.« Sie saß dicht vor mir, so dass ich ihren Mund genau beobachten konnte, wie er das Frühstücksei formte. »Jetzt Sie: Frühstücksaei.«
    »Frühstücksei«, sagte ich. Sie klatschte in die Hände und rief: »Herrjeh! Es ist kein deutsches Ei, es ist ein österreichisches Ei! Geben Sie nicht nur die Information weiter, um was es sich handelt, sondern zeigen Sie Ihre Freude am Ei – genießen Sie es, das Frühstücksaei!«
    »Frühstücksei.«
    »Nein, das hat keinen Sinn. Herr Rüdisser, Ihr Frühstücksei!«
    Der Vorarlberger Kollege, der mit mir zusammen im ORF-Sprecherbüro saß, spitzte die Lippen und krächzte ein Frühstücksei, wie Frau Wächter es hören wollte. »Frühstücksaei.«
    »Hören Sie? Herr Stermann, das Frühstücksei von Herrn Rüdisser ist Ihr Ziel. Schauen Sie, wir Österreicher sprechen gern, wir wollen nicht nur schnell Daten weitergeben wie bei Ihnen in Deutschland, sondern wir haben auch Lust am Klang. Früh-stücks-a-ei. Bei Ihnen klingt das Ei steinhartgekocht, ai! Ai-ai, als würden sie einen Befehl befolgen und wenn ich es sage –  Früh-stücks-a-e-i  –, da hört man’s duften, das kernweiche Aei, nicht wahr? Sie haben eine angenehme Stimme, aber das Ei vom Herrn Rüdisser gelingt Ihnen nicht.«
    Sie seufzte. Und wie zur Bestätigung krähte Kollege Rüdisser ein weiteres, perfektes österreichisches Frühstücksei in den Raum. Frau Wächter nickte anerkennend.
    Rüdisser und ich gestalteten gemeinsam eine Reihe für das Landesstudio Wien: Wohnorte berühmter Persönlichkeiten in den 23 Wiener Bezirken . Ein Buch zum Thema war bereits erschienen, und nun wollten wir nachforschen, wer heute in diesen Häusern lebte. Ich schlug vor, dass wir uns nur auf Beethoven konzentrieren sollten, denn der war über 80 Mal in Wien umgezogen, aber Rüdisser teilte mir mit seiner schrill schnatternden Stimme mit starkem Dornbirner Akzent mit, dass er in jedem Bezirk eine andere Berühmtheit vorstellen wolle.
    Den Auftrag hatten wir von der Abteilungsleiterin »Religion« bekommen. Und als barmherzige Christin gestattete sie uns natürlich auch, dass wir die Ergebnisse unserer Recherche im Radio präsentierten. So sprachen wir selbst unsere kurze Serie aus fünfminütigen Porträts: der gackernde Dornbirner und ich, der ich kein einziges österreichisches Frühstücksei zustande brachte.
    Wir interviewten Nachmieter von Mozart im 1. Bezirk, Schüler im 2. Bezirk, die in die gleiche Schule gingen wie einst Sigmund Freud, im 3. Bezirk sprachen wir mit einer Serbin über Robert Musil, die allerdings nicht viel mehr sagte als »Muss Mann warten«. Zu Ingeborg Bachmann, die auch einmal in ihrem Haus gewohnt hatte, fiel ihr noch weniger ein.
    In Wieden, dem 4. Bezirk, befragten wir Bewohner von Schuberts Sterbehaus nach ihrer Musikalität und ob sie Brillen trügen. Rüdisser wollte »etwas Launiges« machen, mir selbst ging seine gekrähte Launigkeit auf die Nerven. Leider führte Rocco zu diesem Zeitpunkt noch Optikfreaks in Jena durch die Gegend, sonst hätte er dem Dornbirner ein Schubert-Wissen ums Mikrophon gehauen, dass kein Frühstücksei heil geblieben wäre.
    Im Fünften gingen wir ins »Hotel Ananas«, weil in dem Gebäude Hans Moser auf die Welt gekommen war, allerdings unter dem Namen Jean Julier. Ich hätte lieber Bewohner eines Hauses in der Schönbrunner Straße befragt, in dem Stalin eine Zeitlang gelebt hatte, aber Moser schien Rüdisser interessanter. Jeder Kellner konnte Hans Moser nachmachen, und Rüdisser war’s zufrieden – das würde ein launiger Beitrag werden.
    Im 6. Bezirk wollte ich ins Haus, in dem Oskar Werner gelebt hatte; immerhin kannte ich ja von Frank die Geschichte seines letzten Interviews. Aber Rüdisser entschied, dass Joseph Haydn für unser älteres Religionspublikum geeigneter wäre. »Wir müssen dann aber aufpassen, dass wir nicht die Paukenschlag-Symphonie als Musikuntermalung verwenden. Die kippen uns sonst aus den Latschen vor dem Lautsprecher, die religiösen Greise«, sagte ich.
    »Du nervst«, sagte Rüdisser, dem sein Ei-Sieg mächtig Auftrieb gegeben hatte. Eindeutig war er der Chef in unserem Projekt, während ich mich zunehmend raushielt. Er wählte die Döblergasse in Neubau, wo Otto Wagner gewohnt hatte. »Lass uns im Klo nachschauen«, bat ich. »Ich möchte sehen, ob es Pissrinnen gibt!«
    »Hä? Spinnst du?«, fauchte mein Chef mich an und unterhielt sich mit einem französischen Air-France-Piloten, so gut es ging,

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