Sechs Richtige (German Edition)
oder toll. Helgoland war so was wie Alcatraz und mit Frankfurt und seinem trubeligen Leben natürlich überhaupt nicht zu vergleichen. Vanessa und Antonia waren schon ein bisschen enttäuscht über diese Reaktionen, sie hätten sich gewünscht, dass die Klassenkameraden und Freundinnen sie getröstet oder aufgemuntert hätten – und Besuche angekündigt. Mit diesen durchweg negativen Reaktionen hatten sie nicht gerechnet.
«Alina hat sogar gesagt, dass wir bestimmt zu so Dorftrotteln mutieren», hatte sich Vanessa schon bei Antonia beklagt. «Anstatt mal zu sagen, dass es nicht so schlimm ist.»
Bei Antonia war es genau dasselbe gewesen. Sie wurden von allen Seiten belächelt und mitleidig oder sogar ein bisschen verächtlich behandelt.
«Ich hätte mich anders verhalten, wenn jemand aus meinem Freundeskreis so was vor sich hätte», hatte Antonia gesagt. «Tolle Freunde haben wir da.»
Und jetzt wurde der Vater auch noch wütend. «Herrje, Vanessa!», fuhr Hanno seine Tochter an. «Hör endlich auf, das zu dramatisieren. Es geht um
ein Jahr
, und das wird dir und euch allen sehr guttun.»
«Ja», sagte Lilly eifrig. «Da gibt es Kegelrobben. Und Knieper. Das sind die Scheren vom Taschenkrebs. Die schmecken sehr gut. Das ist nämlich eine Delikatesse. Ich hab mir in der Bücherei ein Buch über Helgoland ausgeliehen.» Lilly las für ihr Leben gern in merkwürdigen Büchern und zog eine Buchrecherche einer Internetrecherche grundsätzlich vor.
«Toll», sagte Vanessa. « 365 Tage lang Robben und als Highlight ein Taschenkrebs. Das habe ich mir schon immer gewünscht.»
«Man isst die Knieper mit Baguette oder auch gern mit Knoblauchsoße», sagte Lilly, als sei das das Wichtigste überhaupt.
«Ich bin ja fein raus», sagte Jan. «Ich kann für das Jahr bei Lukas wohnen. Hab ich euch schon gesagt, dass seine Eltern nichts dagegen haben?»
«Nein, Jan.» Hanno schüttelte den Kopf. «Da hat sich eine kleine Änderung ergeben. Du kommst mit. Es ist alles geklärt. Lukas’ Eltern werde ich noch anrufen und mich dafür bedanken, dass sie dich aufgenommen hätten.»
«Was? Wie?», fragte Jan verwirrt. Er hatte Oberwasser, seitdem er das mit der Schule herausgefunden hatte.
«Ja», sagte Hanno. «Ich habe mit deinem Klassenlehrer gesprochen. Du hast ja sowieso schon auf der Kippe gestanden. Und jetzt steht fest – also seit der Konferenz –, dass du das Klassenziel leider nicht erreichst.»
Jan wurde blass, Antonia und Vanessa kicherten.
«Das kann gar nicht sein», rief Jan wütend und sah seine Schwestern stinksauer an. «Der …»
«Bei drei Fünfen schon», unterbrach Astrid ihren Sohn.
«Ich mag weder Mathe noch Chemie. Ich mag es einfach nicht.» Jan stand auf, sein Stuhl fiel nach hinten und krachte zu Boden.
«Physik leider auch nicht», sagte Hanno. «Jetzt setz dich wieder hin. Sei mal lieber froh, dass wir nicht ausrasten.»
«Was ist Physik?», fragte Lilly neugierig wie immer und tauchte ihren Löffel zum wiederholten Mal ins Nutellaglas.
«Physik befasst sich mit den Erklärungen von teilweise grauenhaften Naturereignissen», sagte Antonia. «Also beispielsweise damit, wie es möglich ist, dass Menschen auf eine unbewohnte Insel verfrachtet werden, um dort den Naturgewalten hilflos ausgeliefert zu sein. Das ist Physik, und das kapiert dein Bruder leider nicht. Er hat nämlich gehofft, dass er schön hierbleiben kann. Ist aber leider nicht so. Hast du das jetzt verstanden, Jan? Ich frage nur, weil du ja Physik auch nicht magst. Dabei hast du doch mit der lieben Mia dauernd bei geschlossener Zimmertür gelernt. Dumm, dass das nichts gebracht hat. Vielleicht liegt es ja daran, dass du ein Jahr später eingeschult wurdest.» Jan war in der Tat erst mit 7 Jahren in die Schule gekommen, was allerdings nichts mit seiner Dummheit zu tun hatte, sondern damit, dass er ungünstig Geburtstag hatte. Die Schwestern holten diese Tatsache aber gern mal raus, um ihn zu ärgern.
«Vielleicht habt ihr ja gar nicht Mathe gelernt, sondern was anderes. Erzähl doch mal», fing nun auch Vanessa an. Sie schenkte sich Saft nach und schaute ihren Bruder an wie eine Schlange das Kaninchen.
«Passt beide auf, ja!» Jan ging drohend auf sie zu.
Schnell stand Antonia auf.
«Hättest du mal besser mit mir gelernt», kicherte Vanessa und ging ebenfalls in Deckung.
«Schluss jetzt. Setzen!», rief Hanno entnervt, aber Jan hörte nicht auf ihn und begann Antonia und Vanessa um den Tisch herum zu verfolgen. Und eine
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